Über Krishnamurti

Was für ein Duell!  Es ist nun 3.15 Uhr. Wie sieht es in den »Battleground States« aus? Wolf Blitzer rattert die Zahlen herunter. Knapp wird es wie  vor acht Jahren. Die USA sind eben gespalten. Auf jeden Sieger kommt ein Verlierer. Stehen nicht in allen Ländern sich das linke und das rechte Lager gegenüber? Mal die, mal die anderen. Man kann tausend Mal wählen, aber am Ende ist es immer wie beim Fußball. Das Elfmeterschießen entscheidet. Krishnamurti hat darüber immer nur den Kopf geschüttet.

Jiddu Krishnamurti (1895−1985) hat ein reichhaltiges Werk hinterlassen, das aus vielen kleinen Büchern besteht. Der indische Weiskeitslehrer ist durch die ganze Welt gereist, und seine Vorträge und seine Antworten auf Fragen von Suchern sind aufgezeichnet worden. Ich habe gerade zwei Bücher von ihm gelesen und will sehen, ob ich Krishnamurtis Philosophie kurz darstellen kann. 

Das dritte Buch der Reihe Commentaries on Living wurde von D. Rajagopal 1981 herausgegeben. Es ist Material aus den Notizbüchern von Krishnamurti, der als Jugendlicher von prominenten Theosophen entdeckt und gefördert wurde, später aber den Kontakt zu ihnen abbrach. Er ging dann seinen eigenen Weg. Das Taschenbuch habe ich aus dem Esoterik-Antiquariat von Lucius Werthmüller in Basel. 300 Seiten, eng bedruckt.  

Nach der Überschrift zu einem Kapitel folgt stets als Einstieg eine schöne Schilderung der indischen Landschaft und der Menschen. Danach wird ein Besucher oder werden mehrere Besucher vorgestellt, die ein Problem (oder mehrere Probleme) haben. Warum habe ich Gott noch nicht gefunden? Soll ich mich in der Politik engagieren? Warum bin ich dauernd unzufrieden? Was ist die Liebe? 

Krishnamurti ist geduldig und umkreist die Frage. Zunächst will er Definitionen: Was verstehen Sie unter Politik? Wie wollten sie Gott finden? Warum wollen Sie sich engagieren? Was bedeutet die Liebe denn für Sie? Da kann er auch insistieren und streng mit seinen Besuchern sein.  

Jiddu Krishnamurti lehrt natürlich die Liebe: Sie sei die Rettung, sei die »totale Aktion«. Darüber hinaus predigt er die Stille des Bewusstseins, das Schweigen. Wir sähen die Dinge immer durch einen Schleier aus Vorannahmen an, wir nähmen sie durch die Worte wahr, sollten aber einfach bei ihnen sein. Der Geist soll möglichst still sein. Was er will, ist indisch-quietistisch: keine Anstrengung, kein System, kein Ziel, keinen Kampf, keinen Ehrgeiz. Alles, was Zeit erfordert, ist falsch; das Richtige geschehe  augenblicklich. Wahrheit sei zeitlos.  (Illustration: Rolf Hannes) 

Keinen Sinn hätten Reformen in der Gesellschaft; sie könne man nicht von innen heraus verändern; um sie zu verändern, müsse man ihr den Rücken kehren. Wer gegen etwas kämpfe, sei immer noch in einem System gefangen und nicht frei, sondern konditioniert. Dies ist eine radikale Ansicht, aber nicht falsch. 

Wie langsam kommt doch eine Gesellschaft voran! Wohin kommt sie »voran«? Wo will sie hin? Unklar. Sie bewegt sich eher her und hin. Wie wenig kann doch der US-Präsident bewegen! Eine Hälfte der Wähler steht links, die andere rechts; ein Drittel hat Geld, zwei Drittel weniger Geld. Jede Gesellschaft ist voller Widersprüche, und ihre Widersprüche schaffen es prima, miteinander zu leben. Man gibt Geld aus für »Gewaltprävention« — und in Filmen blüht Gewalt, in Firmen blüht die Gewalt. Eine Seite will eine gesunde Bevölkerung — die andere lebt wunderbar von den Kranken.  

Solange die meisten nur daran denken, wie sie zu Geld kommen können, ändert sich nichts. Die ganze Politik ist ein Leerlauf mit geringer Impulskraft. Die Nachrichten, die man uns übermittelt, sind nicht die richtigen Nachrichten; das ist nur Gequirle an der Oberfläche und geht nicht in die Tiefe. 

 

2 Kommentare zu “Über Krishnamurti”

  1. Regina

    Lieber Manfred,

    auf englisch fast noch schöner und es geht immer um die Liebe, um das Schöne, um das Sein, um die Ehrlichkeit: The knowing of oneself – it is all in yourself. And only when there is this clarity and the understanding of oneself, both at the conscious level as well as in the deeper hidden levels – which is part of meditation – can the mind, uncluttered and free, proceed into things that can never be put into words, that can never be communicated to another….To come upon its beauty and innocency; without it life has really no meaning at all. ( J.K.) ciao Regina

  2. Dieter Renner

    Lieber Manfred,

    Danke für deine Zeilen über Jiddu Krishnamurti. Wer ihn das erste Mal liest, ist von der Radikalität der Aussagen erschrocken. Dabei spricht er im Kern die Themen des Christentums an: die ewige unzerstörbare Liebe; das Erkennen, dass die Schöpfung in sich mit allen Aspekten gut ist. Er arbeitet heraus, dass durch die Trennung der Dinge durch unser „Ego-Denken“ sich die Konflikte aufbauen. Nur im Erkennen des eigenen „Selbst“, so wie wir gemeint sind, kann Positives entstehen. In diesem Sinne entlarvt er auch die Schimäre von Reformen, die er als das enthüllt, was sie sind: Schlechtes, dass durch „Ego-Ddenken“ entstanden ist, durch anderes „Ego-Denken“ zu ersetzen-ein Teufelskreis. Seine Konsequenzen sind: Erkenne Dich und dein Selbst, und handele danach; lasse dich nicht von deinem Ego und von aussen aufgezwungenen Ideologien und Religionen antreiben.

    Viele Grüße
    Dieter