Der rasende Roland

Als ich Kind war, las ich gern die Comics mit Prinz Eisenherz, der nicht nur ein stolzes Pferd, sondern auch eine schicke Pony-Frisur besaß, damals, in den 1960er Jahren, vermutlich inspiriert von den Beatles. Jahrhundertelang werden junge Männer davon geträumt haben, Ritter zu sein.

Der Ritter ist eine Identikationsfigur wie auch der Samurai und der Indianer. (Ich wollte nie der US-Marshal sein.) Edle Taten vollbringen! Der wahre Ritter ging mit Todesverachtung in den Kampf, war aber auch poetisch veranlagt und der Minne zugeneigt, war halb Mönch, halb Leibeigener, stets unbehaust und gewiss gläubig.

Der Titel Radsport furios entstand spontan, aber an dem Versepos Orlando furioso von Ludovico Ariosto (1474-1533) kam ich nicht vorbei. Worum ging es da? Es ist eine »neuere« Version des Rolandslieds, das Bischof Turoldo von Bayeux zwischen 1075 und 1110, also zur Zeit des ersten Kreuzzugs, in 4002 zehnsilbigen Versen verfasste. Als Ariost schrieb, war die Zeit der Ritter schon vorbei. Die Feuerwaffen hatten ihnen den Garaus gemacht.

Ferrara − die Stadt, in der Ariosto starb; die große Radfahrer-Stadt – widmet im Palazzo Diamanti seit dem 24. September dem Autoren eine Ausstellung, da die erste Ausgabe des Furioso vor 500 Jahren erschien. Das las ich »zufällig« in der Repubblica vom 20. September.  Am 21. (angefangen hatte ich diesen Artikel schon am 15. September) schlug ich den Roman The Confidential Agent von Graham Greene auf, von dem ich schon drei Romane besprochen hatte. Er spielt 1939 in London, und nichts ließ erwarten, dass darin das Rolandslied vorkommen könnte …. Und dann sagt die Hauptperson D., befragt nach seiner Beschäftigung vor dem Krieg, er sei Lektor für mittelalterliches Französisch gewesen und habe ein altes Manuskript des Rolandslieds entdeckt. (Doch darüber wundere ich mich nur wenig. Das Buch wurde mir in die Hände gespielt, ein Anklang an die Große Kosmische Ordnung, die wir dadurch ungefähr erahnen.)

Die Rittersagen: Titelbild eines italienischen Schulbuchs. Überschrift: Männer

Die Rittersagen: Titelbild eines italienischen Schulbuchs. Überschrift: Männer

Graf Roland dient Karl dem Großen, dessen Feldzug gegen die Sarazenen in Spanien bewundert wurde. Damals schon bedrohten die islamischen »Mohren« das Frankenreich. 778 wollte Karl arabischen Aufständischen gegen den Kalifen von Cordoba zu Hilfe kommen, doch da in Deutschland die Sachsen rebellierten, musste der Kaiser mit seinen Truppen zurück ― wieder über die Pyrenäen. Orlando oder Roland kommandierte die Nachhut, die, verraten von Gano, von einer Übermacht von Sarazenen überfallen und niedergemacht wurde. Das kostete auch Roland das Leben. D., der confidential agent Greenes, meint übrigens, Held in einer Version sei Oliver, der darin  Roland oder Orlando vor Wut tötet, da dieser, nur mit dem Gedanken an seinen eigenen Ruhm beschäftigt, nicht die Trompete bläst, die Karls Hauptheer zurückrufen hätte können, sondern seine Leute leichtfertig in den Tod schickt. Männer, eben. Das ist die große Sünde, derer sich Roland vor seinem Hinscheiden bezichtigt.

Graf Konrad von Federl in offener Feldschlacht (Bild vom Kaltenberger Ritterturnier, ca. 2010)

Graf Konrad von Federl in offener Feldschlacht (Bild vom Kaltenberger Ritterturnier, ca. 2010)

Höhepunkt des Epos ist Rolands Tod. Ich habe ihn nur auf Italienisch, darum soll meine Übersetzung genügen. Der Ritter ist tödlich getroffen.

Graf Orlando liegt unter einer Pinie,
und Richtung Spanien ist sein Gesicht gewandt,
und er erinnert sich der vielen Dinge:
das Land, das tapfer er eroberte,
das sanfte Frankreich, und dann die Familie,
und Karl, den Herren, der ihn anleitete;
er kann das Weinen und das Seufzen gar nicht unterdrücken.
Doch an die Rettung seiner Seele denkt er auch,
ruft »mea culpa!«, bittet Gott um sein Erbarmen.
― O wahrer Vater, der du niemals lügtest,
Lazarus vom Grabe auferstehen ließest,
und vor den Löwen David rettetest:
beschütze meine Seele vor allen Gefahren,
verzeih mir meine Sünden, die ich doch beging! ―
Zu Gott streckt hin den rechten Handschuh er.
aus seiner Hand nimmt ihn der heil‘ge Gabriel.
Die Hände eng verschlungen, den Kopf gesenkt
und auf den Arm gelegt, so flieht schließlich das Leben ihn.
Vom höchsten Himmel schickt ihm Gott
den heil‘gen Michael, die Cherubine,
mit ihm steigt auch herab der heil‘ge Gabriel,
sie tragen dann des Grafen Seele hoch ins Paradies.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.