Harry Heine (2)

Der Auftritt in der Seniorenwohnanlage in Staufen mit Gedichten und Geschichten fiel aus. Man hatte vergessen, ihn im Monatsprogramm anzukündigen. Also schiebe ich Gedichte von Heinrich Heine hier ein, doch es sind nicht die, die ich vorgetragen hätte. Denn Harry konnte ziemlich kritisch und auch böse sein, und diese Seite seines Wirkens beleuchten wir hier.

Die letzten acht Jahre seines Lebens lag der arme Harry krank und fast gelähmt im Bett, in seiner »Matratzengruft«, wie er sein Lager nannte. Klar, dass ihm dabei viele düstere Gedanken kamen, denn der Tod wartete geduldig im Schatten auf ihn, jahrelang. Heine hat mit Humor und Verzweiflung mit ihm gerungen und ihm noch ein paar Jahre des Schreibens abgerungen. Nicht lang vor seinem Tod lernte er Camille Selden kennen, und es wurde eine zärtliche Beziehung. Heine nannte sie seine »petite mouche«, seine kleine Fliege. Sie hat später von dem Tag seines Todes erzählt:

An jenem Sonntag, 17. Februar 1856, wurde ich auf ungewöhnliche Weise geweckt. Gegen acht Uhr hörte ich in meinem Zimmer Lärm: eine Art von Schwirren, wie sie in Sommernächten die Flügel von Schmetterlingen vollführen, wenn sie ins Zimmer eingedrungen sind und einen Weg ins Freie suchen. Meine Augen öffneten sich, aber sie schlossen sich sogleich wieder: Eine schwarze Form wand sich und schien im ersten Licht des Tages einem gigantischen Insekt zu gleichen, das auf irgendeine Weise versuchte, ins Freie zu kommen.

Er hat es wohl geschafft, das ist lange her. Uns bleibt die Sammlung der Lamentationen und des Lazarus, in dem das Gedicht Weltlauf so klingt und auch heute noch gilt:

Hat man viel, so wird man bald
Noch viel mehr dazubekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das wenige genommen.

Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben —
Denn ein Recht zum Leben, Lump,
Haben nur, die etwas haben.

Verheiratet war Heine jedoch mit Mathilde, die 15 Jahre jünger war als er, attraktiv und lebenslustig. Sie nach seinem Tod versorgt zu wissen, war ihm wichtig. In der Gedächtnisfeier kommt sie vor.

Keine Messe wird man singen,
Keinen Kadosch wird man sagen.
Nichts gesagt und nichts gesungen
Wird an meinen Sterbetagen.

Doch vielleicht an solchem Tage,
Wenn das Wetter schön und milde,
Geht spazieren auf Montmartre
Mit Paulinen Frau Mathilde.

Mit dem Kranz von Immortellen
Kommt sie, mir das Grab zu schmücken,
Und sie seufzet: »Pauvre homme!«
Feuchte Wehmut in den Blicken.

Süßes, dickes Kind, du darfst
Nicht zu Fuß nach Hause gehen:
An dem Barrieregitter
Siehst du die Fiaker stehen.

Eigentlich wäre das passend für den Tag der Toten Anfang November. Nun  zum Abschluss Heines Gedicht Die Wanderratten, das durch die »Flüchtlingskrise« vom vergangenen Jahr höchst aktuell wirkt.

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und die satten. 
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die Hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rast und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl über die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die lebenden lassen die Toten zurück.

Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze:
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.

Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.

Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frisst,
Dass unsere Seele unsterblich ist. 

So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.

Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen − die Zahl ist Legion.

O wehe! wir sind schon verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hochwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder.
Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder!

Heut helfen euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.

Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurstzitaten.

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.

 

 

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