Der Sound

Als ich wieder Krishnamurti übersetzte, hörte ich ihn. Das war sein unverwechselbarer »Sound«, sein Stil, sein Rhythmus. Alle Dichter haben ihn, und wir alle sind besonders: Jeder schwingt mit seiner individuellen Frequenz, jeder hat eine Art zu sprechen, seine Art, sich zu bewegen. Das ist schon ein Wunder.

Ernst-Joachim Berendt hat in Nada Brahma darüber geschrieben. Der Klang ist für ihn männlich, der Sound weiblich. Wer Musik liebt, wer musikalisch ist, hört beides. Mir kommen manchmal Sätze in den Sinn, Fragmente von Dichtung, und das ist der unverwechselbare Schwung in den Sätzen von Poeten. Das berühmteste Gedicht von Eugenio Montale, Dora Marcus, fängt so an:

Fu dove il ponte di legno
mette a Porto Corsini sul mare alto
e rari uomini, quasi immoti, affondano
e salpano le reti.
Con un segno
della tua mano additavi all’altra sponda
invisibile la tua patria vera.

Da war früher die ponte di legno, die Holzbrücke, die bei Ravenna in Montales Gedicht aufs Meer hinausschaut

Da war früher die ponte di legno, die Holzbrücke, die bei Ravenna in Montales Gedicht aufs Meer hinausschaut

Eines seiner Motetti beginnt so:

Molti anni, e uno più dura sopra il lago
straniero su cui ardono i tramonti.
Poi scendesti dai monti a riportarmi
San Giorgio e il drago.

Wer es hören kann, hört den Montale-Sound. Kürzlich las ich in der poetischen isländischen Edda aus dem 12. Jahrhundert, und da hörte ich einen Rhythmus, der mich gleich gefangennahm. Hovamol besteht aus 165 Teilen, die meist Vierzeiler sind, aber manchmal auch fünf oder sechs Zeilen umfassen.

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Fire he needs | who with frozen knees
Has come from the cold without;
Food and clothes | must the farer have,
The man from the mountains come.

Water and towels | and welcoming speech
Should he find who comes, to the feast;
If renown he would get, | and again be greeted,
Wisely and well must he act.

Wits must he have | who wanders wide,
But all is easy at home;
At the witless man | the wise shall wink
When among such men he sits.

Man möchte es nachbilden:

Hören kann man / den Sound und den Klang
aus dem, was eine Stimme uns spricht,
die Farbe im Wort, / den Rhythmus im Sang,
und Mann und Frau werden Gedicht.

 

 

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