Kannibalen

Kannibalen wäre ein guter Titel gewesen für das Gespräch, das Oskar Roehler (Regisseur und Autor, geboren 1959 in Starnberg) mit Frank M. Raddatz für das Frühlingsheft von Lettre international (Berlin) geführt hat. Roehler kritisiert die Gesinnungsästhetik, und der echte Titel ist Magnetismus des Bösen.

Da will ich nicht viel kommentieren, sondern nur ein paar Auszüge hinstellen. Sie sind klar. Es spricht Oskar Roehler, Autor der Romane Herkunft und Mein Leben als Affenarsch sowie Regisseur von 8 Filmen seit 2000 (auch hier der Affe: Der alte Affe Angst, 2003).

Das Problem ist, dass sich in diesen privilegierten Situationen, in denen wir uns in der westlichen Welt befinden, die Leute anfangen sich gegenseitig zu kannibalisieren, weil es keine äußeren Feinde mehr gibt. Das ist unsere Situation: Wir leben in einer sich selbst kannibalisierenden Gesellschaft. (…)

Die Gründe dafür, warum sich heute so unglaublich viele Leute an der Gesellschaft abarbeiten, können nicht im Internet liegen. Aber das Medium setzt diese Abscheu frei, die fast etwas Kannibalistisches an sich hat. Einer gegen den anderen. … Es erinnert eher an den Ennui, wie man ihn vom Ende der zwanziger Jahre oder um die Jahrhundertwende in Deutschland kennt, als die Gesellschaft begann, sich selber aufzufressen.   

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Das politisch Korrekte ist der Tod der Kunst. … Es fehlt das Sensorium für Literatur, für Morbidezza und Dekadenz, für all das, was ein bißchen delikat ist. … Unsere Art von Öffentlichkeit zeugt davon, dass wir ein Volk sind, das von der Vergangenheit brutal abgeschnitten werden musste. Ein Sumpfsumpf. Solche klimatischen Bedingungen führen offenbar dazu, dass man immer weniger bereit ist, Uneindeutiges auszuhalten und Abweichungen zu akzeptieren. In so einem Biotop kann überragende Kunst schwerlich entstehen.

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Diese moralisierende Sicht der Kunst ist auf etwas gebaut, was nicht stimmen kann. Diese Art einer sich ewig reproduzierenden Selbstbestätigung, in der sich die Gesellschaft eingerichtet hat, produziert nichts als Langeweile und ist künstlerisch völlig irrelevant. … Nehmen wir die Berlinale. Sie war einst ein interessantes und faszinierendes Festival für Cineasten … Heute sind das Markenzeichen der Berlinale Filme, die von irgendwelchen Regimes auf der Welt unterdrückt oder behindert werden. (…)

Man kann sagen, dass sich mit den 90er Jahren ein neues Biedermeier in der Filmwelt etabliert hat. In der Literatur ist es ähnlich. Da hat eine Art Wohlfühlliteratur die Oberhand gewonnen. … Das sind meist nur noch Fassaden des Anspruchsvollen, wo vor allem eine positive Haltung zur Welt gepredigt wird.

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Diese Häme-Gesellschaft straft jeden ab, der sich eine Blöße gibt und exkludiert ihn aus der Gesellschaft. Früher war die Gesellschaft zudem etwas barocker. Man hat mehr gefeiert, war katholischer und ist nicht so calvinistisch mit den Dingen umgegangen. Das Schlimme sind nicht die Politiker, nicht die Parteien, nicht die Gesetze … schlimm sind so degoutante und lächerliche Medien wie zum Beispiel das Fernsehen. Auch seriöse Zeitungen nehme ich davon aus, wobei ich den Spiegel nicht für eine seriöse Zeitung halte. (…)

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Ein Kommentar zu “Kannibalen”

  1. Regina

    ja super, wenn man sowieso nicht dazu gehören möchte! Lieber „sein Leben“ irgendwie im Griff haben – es lebe die Individualität! Liebe Grüße Gina