Valle di Verzasca
Am ersten Sonntag im Juli sind Giovanna und ich von Tenero aus das Tal der Verzasca entlanggewandert, 30 Kilometer lang bis Brione. Da stößt der Radfahrer, der das Wandern mit Bergschuhen über Stock und Stein nicht gewohnt ist, an seine Grenzen. Aber schön war’s, im Schatten zu wandeln neben modrig riechenden Farnen und Moosen, begleitet vom steten Rauschen des Flusses mit seinen glasklaren Wassern.
Der erste Ort heißt Contra, und da hat Sir John Eccles seine letzten 25 Lebensjahre verbracht, und als er dort einzog, war er schon 72 Jahre alt. Sir John bekam den Medizin-Nobelpreis für seine Forschungen über die Leitung der Synapsen, und er hat auch, wie ich mich erinnere, Wilder Penfield Recht gegeben: Das Bewusstsein ist eine andere Kategorie als das Gehirn. Die Seele sei einer »übernatürlichen spirituellen Schöpfung« zuzuschreiben, ließ sich der Katholik vernehmen, sie sei der Geist Gottes. Ein Ensemble von Psychonen bildeten in Eccles‘ Gedankengebäude als mentale Einheiten das Bewusstsein. Dort oben in Tenero-Contra ließ sich gut darüber nachdenken. Auf dem Friedhof ist er sogar bestattet, leider wusste ich das nicht.
Was Sir John Eccles von oben sah, sehen wir hier unten.
Dann kam, höhersteigend, Mergoscia. Die Inhaberin der Osteria verriet uns, dass es ein verlorener Platz sei mit 200 Seelen und vielen Ferienhäusern, die nie Besuch bekämen. So schön der Ort ist: Man kann sich vorstellen, wie er wirkt, wenn es − wie zwei Wochen zuvor − einmal eine Woche lang unausgesetzt regnet bei 10 Grad. Doch wir sahen Mergoscia in voller Blüte.
Dann geht es am Fluss entlang, kilometerweit. Das Schäumen des Verzasca belebt das Gemüt, die Flora ist dschungelartig, die Sonne dringt nur spärlich durch das Blätterdach. Und überall schäumt und plätschert es. Wasserfälle und murmelnde Abzweiger des Flusses machen sich hör- und sichtbar, es ist eine Freude. Das Wasser ist ein Symbol des Gefühls, des Weiblichen, zugeordnet den Sternzeichen Krebs, Skorpion und Fisch, und dazu passten die vielen naiven Mariendarstellungen in kleinen Kapellen. Die Kirchen der Orte Corippo und Sonogno sind der Madonna gewidmet; die von Sonogno sieht sogar schwarz aus: die schwarze Madonna, die an uralte Fruchtbarkeitskulte erinnert.
Mir kommt die Marienfrömmigkeit des Volkes immer wie ein stiller Protest gegen die männlich geprägte Amtskirche vor. Maria siegte; der Papst musste sie heiligsprechen und gen Himmel fahren lassen. Im Folgenden noch ein paar Bilder aus dem Verzasca-Tal mit Maria.