La Nuit de la Photo
Die lange Nacht des Fotos in La Chaux-de-Fonds am vergangenen Samstag hatte mindestens zwei Besucher aus dem Norden: Giovanna und mich. Kulturell passiert in der Westschweiz einiges, nur kriegt es die Restschweiz nicht richtig mit, wegen der Sprachbarriere und weil man auch in der Schweiz gern unter sich bleibt. Da haben viele etwas verpasst.
So schreibt der deutsche Korrespondent auf manipogo darüber. An sieben Orten wurden insgesamt 30 Fotoserien auf Leinwände projiziert; da musste mal eilen, um von 19 bis 0 Uhr so viele Wettbewerber wie möglich zu sehen. Es waren suggestive Schauplätze: etwa der Temple allemand, eine alte deutsche Kirche; das Uhrenmuseum, das Kunstmuseum, das Historische Museum; das ABC-Kino, der Club 44 und die Schule Ester.
Schneefall hatte eingesetzt, die auf 1000 Meter über dem Meresspiegel liegende Stadt mit ihren Schachbrettstraßen lag leer und irgendwie verzaubert. Bepudert waren die Bäume und die kleinen Plätze mit Brunnen und Figuren. Die breiten Straßen ziehen sich zum Berg hoch, und an den Querstraßen stehen majestätische Jugendstilvillen – La Chaux-de-Fonds ist seit 2009 ein UNESCO-Weltkulturerbe. Wir pilgerten also zum nächsten Veranstaltungsort, kamen also wieder ins Warme, setzten uns in einen Saal und ließen uns Fotografien aus der ganzen Welt zeigen, die meist als Diashow mit Musik untermalt gezeigt wurden.
Die Fotografie zeigt, was ist. So meint man. Das Objektiv zeigt etwas Objektives. Doch es zeigt nicht den Menschen, der es bedient. Und gezeigt werden immer nur die Folgen von etwas; das Ur-Geschehen bleibt unsichtbar. So fotografiert der Franzose Christopher Rihet Straßen und Kreuzungen ab, an denen berühmte Menschen in ihrem Auto starben: Schauplätze ohne Star und Auto.
Die Vorstellungskraft (das Wort) zaubert den Inhalt hinein. Literatur hat keine Referenten in der Außenwelt (sie ist erfunden, allenfalls ihr Material bezieht sie aus der Welt); Fotografie ist reine Außenwelt mit Referenten, die der Künstler bereitstellt. Im besten Fall entsteht eine nachvollziehbare emotionale Atmosphäre, im schlechtesten Fall werden wir manipuliert. Fotografie und Fotokunst sind die Abwesenheit des Eigentlichen und nichts Anderes als ein weiterer Schleier vor dem, das man nicht sagen kann. Phänomene sehen wir, Hüllen; und rhetorische Formen.
Dominique Bression (Frankreich) und Carlos Ayesto porträtierten Fukushima: zerstörte Supermärkte, aufgelassene Zugstrecken, verwüstete Büros mit einem Angestellten … da war 2011 der Störfall im Kernkraftwerk (Zweiter Platz des Publikums). Yves Marchand und Romain Meffre schauten sich die Ruinen von Detroit an, der amerikanischen Autostadt, die voll ist mit pittoresk wirkenden ungenutzen Friseursalons, Zahnarztpraxen, Theatern und Bibliotheken. Ihre Arbeit bekam den Publikumspreis.
Ruinen sind das Vermächtnis des Industriezeitalters. Die Fotos sagen uns, dass diese Zivilisation ihren Höhepunkt überwunden hat und in den Abgrund gleitet. La Chaux-de-Fonds war einmal eine große Uhrmachermetropole, wie St. Gallen groß in Textilien war. Alles vorbei. Dennoch geht es weiter. Nicht überall so leicht. Der Südafrikaner Gideon Mendel fotografiert in aller Welt Menschen bis zur Brust im Wasser, das ihre Habe verschluckt hat.
Die Fotografen haben eine Methode, die sie umsetzen: eine Theorie. Manchmal übertreiben sie es damit, und dann kommt es einem gekünstelt vor. Die Autoren wollen zudem etwas beweisen. Fotografie ist heute mehr Reportage als Kunstschaffen. Viele Fotografen sind jahrelang durch die Welt gereist, um ihre Motive zu finden, und ihre Sequenzen dauern dann nur zehn Minuten. Gewiss haben sie hunderte Fotos gemacht, womöglich tausende, und dann müssen sie auswählen und eine Komposition erstellen und sie mit Musik unterlegen, damit ein Gesamtkunstwerk entsteht. Zuweilen ist der Effekt stark.
Die Arbeit des Franzosen Mathieur Asselin über den US-Chemiegiganten Monsanto, der das Entlaubungsgift Agent Orange und viele teufliche Herbizide erfunden hat, ist beklemmend. Asselin schaute sich in der Gegend der Monsanto-Zentrale um und zeigt uns auch uns Kinder, die mißgestaltet zur Welt kamen, was vermutlich Chemiegiften zuzuschreiben ist.
Andere Fotografen zeigen nicht untergegangene, sondern verborgene Welten. Guillaume Perret lichtete Liebespaare ab (Les Amours extraordinaires), und Karlheinz Weinberger (1921-2000) porträtierte die Welt der »Halbstarken« in den 1960-er Jahren.
Meisterhaft schilderte Werner Bischof Märkte und Menschen in Mexiko. Es waren seine letzten Bilder, bevor er 1954 mit 38 Jahren bei einem Autounfall in den Anden umkam. Er sagte, wir mögen nicht vergessen, dass er immer auf der Suche nach Schönheit sei, und hervorgehoben wurde sein stets »wohlwollendes Objektiv«; Bischof liebte die Menschen und seine Motive, und das, vereint mit einem Auge für die Schönheit und der Gunst des Augenblicks, ist das Geheimnis für gute Fotos.
am 28. Februar 2018 um 17:28 Uhr.
Danke lieber Manfred!
Schön wie du das aufzeigst und zusammenfasst. Ich habe den Link weitergeleitet für die Organisatoren der Nuit de la Photo – sie werden sich sicher freuen.
Herzlichen Gruss, Christine