Die jüdische Skelettsammlung
Berüchtigt wurde die Skelettsammlung der Reichsuniversität Strassburg, die Professor August Hirt gewollt hatte. 86 Juden wurden dafür in der Gaskammer des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthoff vergast. Da kam ich – für mich selber unerwartet – auf einer Rennradtour vorbei, und so kam es zu diesem Artikel.
In dem Buch Medizin ohne Menschlichkeit mit Dokumenten des Nürnerger Ärzteprozesses werden der jüdischen Skelettsammlung 9 Seiten gewidmet.
Der frühere Ordinarius für Anatomie an der Universität, August Hirt, beklagte in einem Schreiben vom 9.2.1942, dass »von den Juden … wenig Schädel zur Verfügung« stünden. Er schrieb ferner:
In den jüdisch-bolschewistischen Kommissaren, die ein widerliches, aber charakteristisches Untermenschentum verkörpern, haben wir die Möglichkeit, ein greifbares wissenschaftliches Dokument zu erwerben, indem wir ihre Schädel sichern.
Reichsführer-SS Heinrich Himmler hatte Interesse und versprach Professor Hirt alle Möglichkeiten, die in seiner Macht standen. SS-Standartenführer Wolfram Sievers meldete im Jahr darauf brieflich, dass am 15. 6.1943 Hauptsturmführer Bruno Beger im KL Auschwitz 115 Personen »bearbeitet« habe. Sievers stellte fest:
Zur weiteren Bearbeitung der ausgesuchten Personen ist nunmehr eine sofortige Überweisung an das KL Natzweiler erforderlich, was mit Rücksicht auf die Seuchengefahr in Auschwitz beschleunigt durchgeführt werden müßte.
Im August 1943 übernahm Kommandant Josef Kramer, früher Buchhalter in Augsburg, die »Bearbeitung«. Hirt gab ihm in Straßburg einen Behälter mit einem Viertelliter Cyanhydratsalzen. Eines Abends im August 1943 empfing Kramer 15 Jüdinnen und sagte ihnen, sie müssten in den Desinfektionsraum gehen, »aber ich sagte ihnen nicht, dass sie vergiftet werden sollten«.
Aus Kramers Bericht:
Als die Tür geschlossen war, fingen sie an zu brüllen. Nachdem die Tür geschlossen war, führte ich durch ein Rohr … eine gewisse Menge von Salzen ein. Sodann schloss ich die Öffnung des Rohres … und beobachtete durch das Guckloch, was innerhalb des Raumes vor sich ging. Ich habe gesehen, dass diese Frauen ungefähr noch eine halbe Minute geatmet haben, bevor sie auf den Boden fielen. Nachdem ich die Ventilation innerhalb des Schornsteines in Bewegung gebracht hatte, öffnete ich die Türen. Ich fand diese Frauen leblos am Boden liegen und sie waren voll bedeckt mit Ausscheidungen.
Die Leichname wurden mit einem Auto nach Straßburg gebracht. Kramer machte weiter, bis er seinen Auftrag erfüllt hatte. Er rechtfertigte sich so:
Ich habe bei der Ausführung dieser Dinge kein Gefühl gehabt, weil ich den Befehl erhalten hatte, diese 80 Insassen auf diese Weise zu töten, wie ich Ihnen bereits gesagt habe. Übrigens bin ich auf diese Weise erzogen worden.
Henry Henrypierre, Mitarbeiter am Anatomischen Institut, nahm die Leichen in Empfang und schöpfte Verdacht.
Die Leichen sind noch warm angelaufen, die Augen waren weit offen und glänzend. Blutunterlaufen und rot traten sie aus den Augenhöhlen. Außerdem waren Spuren von Blut um Nase und Mund. Andere hatten auch Flüssigkeit verloren. Es war keine Totenstarre ersichtlich. In diesem Augenblick dachte ich im stillen, dass es sich um Opfer handeln müsse, die, meiner Meinung nach, vergiftet oder erstickt sein müssen …
Hirt sagte zu Henrypierre: »Peter, wenn du nicht die Schnauze halten kannst, kommst du auch dazu.« Die Leichen wurden konserviert und in einen Behälter gelegt. Da blieben sie ein Jahr. Als die Allliierten im September 1944 auf Belfort marschierten, wies Hirt Mitarbeiter an, die Leichen zu zerstückeln und im Krematorium verbrennen zu lassen. Die Opfer wurden nach dem Krieg auf dem jüdischen Friedhof Straßburg beigesetzt.
Heinrich Himmler brachte sich nach dem Krieg mit Zyankali um, sein persönlicher Referent und Wolfram Sievers wurden ebenso wie Josef Kramer zum Tod verurteilt und 1945 hingerichtet. August Hirt flüchtete nach Tübingen und danach an den Schluchsee, wo er sich am 1. Juni 1945 erschoss.