Beduinenliebe

In diesen Tagen im Jahr 1991 bekam ich die Nachricht, dass Klaus Ballhorn gestorben sei, Dienstleiter der Europaredaktion in der Hamburger Zentrale der Deutschen Presse-Agentur. Er war 53 Jahre alt, glaube ich, Gauloises-Raucher (weiß ich, wir haben zusammen gepafft), und ein Herzinfarkt tötete ihn. Ich hatte ihn sehr gemocht.

Für ihn wäre ich auch durchs Feuer gegangen (wie die Spieler Liverpools für Klopp, wie einer stellvertretend für alle sagte). Dazu muss ein Chef nicht autoritär sein, besser ist er es nicht, sondern innere Leidenschaft besitzen und Integrität. Das war ein blödes Jahr, erst zwei Monate vorher hatte ich meinen Abschied genommen, das mag ihn betrübt haben; ich hing danach sehr durch, jahrelang. Klaus Ballhorn war ein kleiner Mann mit grauem, schütterem Vollbart und ein Münsteraner, glaube ich, mit Humor, der so schön still in sich hineinlächeln konnte.

Orientalischer Friedhof

Orientalischer Friedhof

Zum Abschied hat er mir den Roman Tuareg geschenkt, über den ich kürzlich geschrieben habe, und seine Widmung hatte fallende Zeilen, war mir aufgefallen, ist kein gutes Zeichen. Der Roman endet auch tragisch, mit dem Tod des Helden und Einzelkämpfers, und all das konnte hinterher symbolisch wirken. Aber es ist lange her, ich weiß nichts von ihm, und vielleicht meldet er sich ja heute Nacht in einem Traum und sagt mir: alles gut, ich bin okay.

Was zu Tuareg noch bemerkt werden will: Die Frauen, hieß es, haben bei ihnen viel zu sagen. Es gibt obendrein den Ausdruck »Beduinenliebe« (hubb al-badawi), und man sagt, die Beduinin sei der Ansicht, Sexualität zerstört die Liebe. Sie ist unerreichbar und wird von den Männern besungen, und vielleicht hat diese Form der Liebe die Troubadoure des Mittelalters in der Provence beeinflusst, für die Minne hohe Liebe war und etwas wie Gottesliebe. Man weiß etwa, dass Dante, der um das Jahr 1300 seine Göttliche Komödie schrieb, Traditionen des Orients kennte und sich als »Gottesfreund« bekannte.

Hoggar-Gebirge

Hoggar-Gebirge

Wenige wissen, dass vermutlich die Sufis und die strengen Asketen des persischen Priesters Mani, der im dritten Jahrhundert lebte, Benedikt Pate standen, der erst 200 Jahre später seine Mönchsregel erarbeitete; vielleicht geht auf die Manichäer das westliche Mönchstum zurück. Und die hoch entwickelte Medizin des Orients! Im Jahr 1000 besaß Bagdad viele Krankenhäuser auf einem Niveau, das der Westen erst 800 Jahre später erreichte.

Dann tauchte der Orient in sein Mittelalter ab und vergaß die Errungenschaften, während sich der Westen aus seinen dunklen Jahrhunderte zu befreien begann. ES haperte immer am Austausch, was natürlich an der arabischen Sprache lag und dem Desinteresse des Okzidents, der immer genug mit sich selbst zu tun hatte. Das Unverständnis bei uns für den Orient war selten größer als jetzt. Er war für uns immer Märchenland und Öl-Land. Die Scheichs wurden protegiert, weil sie Öl hatten, Afghanistan dagegen wurde überrollt (schon 1979 von den Russen), Irak plattgemacht (nach den Attentaten auf die Twin Towers), und beim »arabischen Frühling« haben wir ebenso  zugeschaut wie beim syrischen Bürgerkrieg, und nun ist die Lage total verfahren.

Desinteresse und Egoismus. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

 

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