My Lai 1968 und andere Jahrestage

Die Lettre international (Heft 118) hat einen Beitrag von Armin Wertz über das Massaker von US-Soldaten an den Bewohnern des Dorfes My Lai in Vietnam; und dann wird, denken wir daran, des Beginns des Dreißigjährigen Kriegs 1618 sowie des Endes des Ersten Weltkriegs 1918 gedacht. Viel zu denken.

Gerade das letzte gedruckte Heft von BIG durchgearbeitet (die neuen erscheinen künftig im Netz) und gefunden, dass die deutsche Bundesregierung am 2. Juni 2016 eine Mitschuld des Staates einräumte: Deutschland habe eindeutige Informationen gehabt, dass die Armenier von den Türken organisiert vertrieben und vernichtet wurden (es ga eine Million Tote, die Türken leugneten das immer) und habe nicht versucht, »diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen«.

Geben wir wieder Hannah Arendt das Wort. Sie schrieb in ihrem Buch, den Nürnberger Prozessen habe ein Londoner Statut zugrunde gelegen, das »›Verbrechen gegen die Menschheit‹ als ›unmenschliche Handlungen‹ definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten ›Verbrechen gegen die Menschlichkeit‹ geworden sind – als hätten es die Nazis lediglich an ›Menschlichkeit‹ fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts.« (S. 324)

Und diese lächerlich falsche Übersetzung wird bis heute nachgebetet. Auch der Mord an einer Million Armeniern war ein »Verbrechen gegen die Menschheit«. Und noch eine Ergänzung: Israelische Agenten entführten Eichmann im Mai 1960 aus seinem Wohnort in Argentinien, um ihn in Jerusalem vor Gericht stellen zu können. Damit verletzten sie die Souveränität eines Staates, und Beobachter meinten zudem, Eichmann habe vor einen internationalen Gerichtshof gehört, wegen seiner »Verbrechen gegen die Menschheit«.

Adorno schrieb einmal, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben. Einen anderen Gedanken noch dazu: Auschwitz, diese menschengemachte Menschenvernichtungsmaschine, hat jeden Gedanken an ein Happy-end kompromittiert. Alles, was wir seither tun, ist Haschen nach Wind.

Im März 1968 ereignete sich das Massaker von My Lai. Es habe zahlreiche solcher Massaker gegeben, hörte in Vietnam Seymour Hersh, der einen Bericht über den Fall schrieb. Ronald Haeberle machte Fotos, und ein Soldat schrieb auf, wie er es erlebt hatte. Im September 1969 wurde Leutnant William L. Calley des Mordes an 109 Menschen angeklagt (umgebracht wurden 347 Vietnamesen). Die Zeitungen und Zeitschriften behandelten das Verfahren kurz. Die detaillierte Geschichte wollte niemand. Niemand glaubte sie. Kein Journalist hatte je Anstoß daran genommen, wenn die Army bekanntgab, sie habe Hospitäler bombardiert. Die Zeitungen glaubten an die Regierung und an das Recht der Amerikaner, in Vietnam zu wüten.

Dann druckte die Zeitung Plain Dealer die Fotos, und ein Aufschrei ging durchs Land. Plötzlich wollten alle die Fotos und boten Geld. Elf Soldaten wurden angeklagt, nur Calley wurde verurteilt: zu lebenslanger Haft. Gleich wurde er zum Volksheld und zum Opfer, zum geachteten Bürger von Columbus im Bundesstaat Ohio. 1974 wurde er von Nixon begnadigt und heiratete später die Tochter eines Juweliers.

»Kriegsgreuel sind das Ergebnis der Enthumanisierung des Feindes«, schreibt Wertz. »Er steht außerhalb der Gesellschaft, gilt nicht als Mitglied der menschlichen Rasse.« Auch die Juden bedeuteten den SS-Killern nichts. Wertz erinnert auch an Folter und Bombenangriffe auf harmlose Familien im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan. Krieg. Im Ersten Weltkrige gab es acht Millionen Tote und 24 Millionen Verwundete, und der Dreißigjährige Krieg löschte ein Drittel der deutschen Bevölkerung aus, und die Grausamkeit, mit der zu Werke gegangen wurde, kann man in Der abenteuerliche Simplicissimus nachlesen, das Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen (1622-1676) vor 350 Jahren schrieb.

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