Candide

Candide, diese wahrhaft krasse und grelle Erzählung von Voltaire, sollte man einmal gelesen haben. Voltaire, der geistreiche und spöttische Aufklärer, prägte das 19. Jahrhundert. Ferney bei Genf – der Ort, an dem er 20 fruchtbare Jahre verbrachte – benannnte sich ihm zuliebe sogar um: zu Ferney-Voltaire. Eine seltene Ehre.

Die Handlung kann man gar nicht wiedergeben, so verschlungen und chaotisch ist sie, außerdem spielt sie in verschiedenen Ländern und sogar in Amerika. Candide (als französisches Adjektiv aufrichtig, arglos, kindlich bedeutend) ist Westfale und lebt auf dem Schloss des Barons von Thunder ten Trockh und ist verliebt in dessen pummelige Tochter Kunigunde. Sein Hauslehrer heißt Pangloss und betont gebetsmühlenhaft, man lebe in der besten aller Welten und alles sei auf das Beste eingerichtet.

Skulptur am Lacd de Joux bei Genf

Skulptur am Lac de Joux bei Genf

Das ganze Buch ist darauf angelegt, diese Ansicht ad absurdum zu führen. Candide wird nach einer plumpen Annäherung mit einem Fußtritt hinwegbefördert und wird Soldat, und damit beginnt seine Odyssee durch Fürstenhäuser, Armenhäuser, Kalifenreiche und märchenhafte Ländereien wie El Dorado, wo man tatsächlich glücklich lebt, weil man vom Rest der Welt nichts weiß.

An einem Genfer Haus: Voltaire (links) und Friedrich II. von Preußen (rechts), bei dem der Autor drei Jahre zu Gast war

An einem Genfer Haus: Voltaire (links) und Friedrich II. von Preußen (rechts), bei dem der Autor drei Jahre zu Gast war

051Candide trifft nach Kriegswirren, bei denen Tausende sterben, Pangloss wieder, der gefoltert und verstümmelt wurde, aber bei seiner Meinung bleibt. Kunigunde soll missbraucht und getötet worden sein, Candide tötet aus Wut ihren Bruder, aber die Toten tauchen später alle wieder auf wundersame Weise als Lebendige auf. Candide wird reich und verliert fast alles wieder, bleibt aber immer auf der Suche nach Kunigunde. Menschen sterben beim Erdbeben von Lissabon, ertrinken, werden abgeschlachtet, — und das soll die beste aller Welten sein? (Voltaire reibt sich dabei an Leibniz, von dem der Spruch stammt.)

Auf seinen Reisen trifft Candide Martin, der sich als Manichäer bezeichnet und der Gegenpol zu Pangloss darstellt. Er ist Realist und Zyniker. Der Mensch, sagt er, sei dazu geboren, entweder verkrampft in Sorge oder in der Dumpfheit der Langeweile zu leben. (Erinnerte mich an FoMO: Entweder du lässt dich durch dein Smartphone stressen; oder du wirfst es weg und lebst in der Ödnis.) Das sagt Martin im Schlusskapitel, das auch einen klugen buddhistischen Einschub bietet.

Die beste oder die schlechteste aller Welten? Warum wurde der Mensch, dieses Wesen, erschaffen? Diese Frage stellen die beiden dem besten Philosophen der Türkei, einem Derwisch. »Geht euch das etwas an?« fragt der Derwisch. Und das Böse auf der Welt? »Was macht das aus?« Was solle man also tun? will Pangloss wissen. »Schweigen«, erwidert der Derwisch.

Bäuerliche Landschaft in der Nähe des Genfer Sees

Bäuerliche Landschaft in der Nähe des Genfer Sees

Candide findet noch eine bessere Antwort. Er bewirtschaftet mit Kunigunde ein Landgut und gründet eine Art Kommune, in der alle ihre Talente zum Guten des Gemeinwesens einsetzen (wie es der Autor selber tat, erfolgreich und stets mit Güte). Zum Teufel mit der guten oder bösen Welt! Candides Entgegnung auf alles ist zugleich der letzte Satz: »Das ist wohl gesprochen, aber wir müssen unseren Garten bestellen.« Fürwahr wohl gesprochen.

 

 

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