Ulrich und das Besondere

Will mal wieder aus dem Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil zitieren, meinem wichtigsten Roman, der Philosophie auf leichte Art vermittelt, aber aufpassen muss man schon. Ulrich verbreitet sich über die Sprache und damit über das Allgemeine.

Denn Sprache verallgemeinert. Wie Ulrich so farbig seiner Freundin Diotima darlegt, die seinen Monologen gern zuhört:

Haben Sie schon je einen Hund gesehen? Das glauben Sie bloß! Sie haben immer nur etwas gesehen, das Ihnen mit mehr oder weniger Recht asl ein Hund vorkam. Es hat nicht alle Hundeeigenschaften, und irgendetwas Persönliches hat es, das wieder kein andereer Hund hat. Wie sollen wir da je im Leben ›das Richtige‹ tun? Wir können nur etwas tun, das niemals das Richtige und immer mehr oder weniger als etwas Richtiges ist.

(…)

Alles hat teil am Allgemeinen, und noch dazu ist es besonders. Alles ist wahr, und noch dazu ist es wild und mit nichts vergleichbar. Das kommt mir so vor, als ob das Persönliche eines beliebigen Geschöpfes gerade das wäre, was mit nichts anderem übereinstimmt. Ich habe Ihnen früher einmal gesagt, dass in der Welt desto weniger Persönliches übrigbleibt, je mehr Wahres wir entdecken, denn es besteht schon lange ein Kampf gegen das Individuelle, dem immer mehr Boden abgenommen wird. Ich weiß nicht, was zum Schluss von uns übrigbleiben wird, wenn alles rationalisiert ist. Vielleicht nichts, aber vielleicht gehen wir dann, wenn die falsche Bedeutung, die wir der Persönlichkeit geben, verschwindet, in eine neue ein wie in das herrlichste Abenteuer.

Das sah Herr Musil ziemlich optimistisch. 1942 lag der Roman als 1500-seitiges Fragment da, als er in Genf starb. Mittlerweile ist ja fast alles rationalisiert, und dem Konsumkapitalismus ist es gelungen, ein Konsum-Ambiente und einen global funktionierenden Konsumenten zu kreieren und dieses dann als »individualistisch« zu verkaufen; sein schönster Sieg! Alles immer schneller, immer kälter, und zurück bleiben einsame Bürger, denen nur der Konsum bleibt, weil den Rest Programme und Roboter erledigen.

Hegel lehrte, das Wahre sei das Ganze. Für Abweichungen hatte er nicht viel übrig, und viele »Zivilisationen« haben sich bemüht, die Leute auf Kurs zu bringen und gleich zu machen, denn wer brav ist und Angst hat, gehorcht.

Theodor W. Adorno dagegen schrieb:

Philosophie hat, nach dem geschichtlichen Stande, ihr wahres Interesse dort, wo Hegel, einig mit der Tradition, sein Desinteresse bekundet: beim Begriffslosen, Einzelnen und Besonderen; bei dem, was seit Platon als vergänglich und unerheblich abgefertigt wurde und worauf Hegel das Etikett der faulen Existenz klebte.

Man müsse mittun, meinen alle, was bist du ohne Smartphone? Man kann sich aber auch abseits stellen, zum Glück leben wir nicht in einer Diktatur und sind freie Menschen, und so entstünde eine stumme Opposition, die nichts am Hut hat mit Digitalisierung und dem Roboterwesen.

 

Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Europäischer Buchklub, 1960, S. 572
Theodor W.Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt: Suhrkamp, 2003, 20

 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.