Zeit und Internet

Das Jahr bewegt sich dem Ende zu, darum etwas wie einen Rückblick — in der Zeit und über die Zeit. Was, gleich wieder Weihnachten? Die Zeit ist mysteriös, niemand versteht sie. Mitte November las ich The Labyrinth of Time von Anthony Peake, dieses Jahr erschienen, und danach schwirrte mir der Kopf. Ich selber habe mich ja Ende September über die Zeit verbreitet, na ja.

»Na ja«, schrieb ich, weil ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich die physikalischen Entwicklungen um die Zeit herum in meinem Aufsatz Zeitloses Leben in der Zeitschrift Grenzgebiete der Wissenschaft (Innsbruck) richtig dargestellt habe. Ich muss mich aber hineinstürzen, denn ich soll bis Ende August 2013 ein Buch über die Zeit schreiben. Dazu ist also genug Zeit, darum möchte ich hier etwas zum Thema »Zeit und Internet« sagen.   

Wer heute 30 ist, hat als Heranwachsender das Internet miterlebt und ist damit ganz erwachsen geworden. Ich habe damals, als ich 1985 als Redakteur bei der Deutschen Presse-Agentur anfing, einen Schritt in die Zukunft gemacht, ohne es zu wissen. Denn da standen viele Bildschirme, und es gab Standleitungen in die Korrespondentenbüros, also in viele Hauptstädte der Welt. Ich konnte also (wie heute über E-Mail) unseren Mann in Havanna oder unsere Frau in Sao Paolo fragen, wie er oder sie den zweiten Satz seines Berichtes gemeint habe.  Ich konnte Berichtigungen anbringen und neue Versionen abschicken; es gab den »Überblick« und die »Zusammenfassung«, bei wichtigen Themen auch Erste und Zweite Zusammenfassung. Freilich war das alles intern. Nach außen hin fror dann alles in dem Moment ein, in dem der Redaktionssschluss drohte: Wenn die Zeitung in Druck ging. Dann nahm sie die aktuelle Fassung eines Berichts und druckte sie ab.  

Das ist heute noch so. Aber in den Online-Zeitungen kann dauernd verbessert werden, wie sind seit zehn Jahren fast in real time. Wir können eigene Artikel im Nachhinein ändern, als sei die erste Fassung nicht geschrieben worden; beim Geschriebenen können wir also die Vergangenheit verändern. Im Internet ist alles gleichzeitig anwesend und beliebig veränderbar. Wir können eine Welt herstellen, die uns passt. Ich kann sogar eine Zukunft herstellen und manipogo-Artikel für 10 Tage im voraus einplanen, was ich oft tue.     

Wie wir bei dpa schon damals, sind wir heute fast gleichzeitig mit allen verbunden, das ist wunderbar und auch wundersam. Die weltweite Kommunikation ist nicht mehr das Privileg von Politikern oder Nachrichtenexperten. Aber nun wird auch mehr kommuniziert, die Kanäle sind voll und rauchen, und es wird gesendet, was das Zeug hält. Computer und Internet haben auch das Wirtschaftsleben unerhört beschleunigt, auf Kosten der zeitlichen Spielräume für den Einzelnen.  

Wir haben mehr Dinge und mehr Möglichkeiten, aber das Leben ist anstrengender, die Zeit knapper geworden. Mehr Leute als früher haben Burnout und Depressionen, aber noch geht es. Aber seltsam ist es schon mit diesen Elfjährigen, die, wo auch immer, an ihren Computerspielen hängen. Aber auch sie werden erwachsen und merken, dass es andere, schönere Dinge gibt. Diese Welt hinter dem Internet, die echte Welt da draußen, müssen wir ihnen immer wieder zeigen. 

Die Illustrationen stammen von Rolf Hannes.  

 

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