Die Passion der Teresa
Weder die heilige Teresa von Avila (1515-1582) ist gemeint noch Thérèse von Lisieux (1873-1897), die »kleine Teresa«. 1622 wurde die spanische Mystikerin heiliggesprochen, 1922 Thérèse, und eine dritte Teresa war damals fünf Jahre alt und wuchs in Anzio auf. Sie erzählt ihr wild bewegtes und leidvolles Leben im Nachkriegsitalien in dem Buch Erinnerungen einer Diebin, und darum geht es heute.
Dacia Maraini, 1936 geboren, lernte Teresa in einem Gefängnis kennen, und diese wurde ihr zur Freundin. Vermutlich heißt sie gar nicht Teresa. Frau Maraini ließ sie einfach erzählen und zeichnete ihre Worte auf. Und so werden wir in das Leben einer einfachen Frau mit krimineller Karriere hineingezogen und sind von ihr angezogen, denn Teresa hat Herz, ist spontan und lebenslustig, liebenswert und ohne Vorurteile.
Was für ein Leben! Sie wächst am Meer unter einem Vater auf, den alle fürchten, ihre Mutter stirbt früh, sie flieht nach Rom, lernt Kleinkriminelle kennen und schließt sich ihnen an. Eine lockt Männer an, die nach Geld aussehen, geht mit ihnen ins Kino, klaut ihnen die Brieftasche und schiebt sie an Teresa weiter, die sich damit davonmacht. Das geht oft gut, dann feiern sie und geben alles aus; dann wieder lange Hungerperioden, weil die Börsen leer sind. Sie hilft immer mit, denn zum Klauen fehlt ihr die Coolness, und mit Männern, die sie nicht liebt, will sie nichts zu tun haben, sie will ihnen nicht schöntun. Teresa ist aufrichtig.
Und immer wieder Knast. Die anderen verraten Teresa, sie verrät niemanden; sie steht Schmiere, die anderen laufen davon, sie wird geschnappt. Es ist eine Geschichte mit viel Niedertracht und Heuchelei, kleinen Triumphen und großen Strafen dafür. Hier ein Jahr, dort acht Monate, sie wird dann wieder verlegt, das Leben im Gefängnis ist hart, ob nun Rebibbia oder Regina Coeli, bei den Männern herrscht physische Gewalt, bei den Frauen psychische, da regieren die Nonnen, die wollen nur brave Hausmütter heranzüchten, schlagen aber auch zu, und wie.
Teresa kommt sie wieder frei und hat nichts mehr. Niemand schreibt ihr ins Gefängnis, niemand besucht sie. Sie aber bringt ihrem Bruder und ihrem Verlobten ein schweres Paket in die Zelle, an dem sie sich in der Hitze abschleppt, dann ist sie wieder ohne Wohnung, schläft in Hauseingängen, hilft anderen bei Reisescheck-Betrügereien und landet wieder im Gefängnis, und der Direktor sagt, sie sei genauso wie ihr Bruder (auch er im Knast, auch er einer, der sich nicht versteckt), worauf sie sagt, du gehst mir auf die Eier damit, und wenn du mich nicht in Frieden lässt, geb ich dir eins auf die Fresse … sagt sie dem Direktor.
Als er das hörte, schickte er mich sofort in die Strafzelle. Drei Tage in einem Raum, der so groß ist wie ein Klo in einem Zug, eine Pritsche zum Schlafen, ohne Decken, ohne alles. Es war auch kalt. Ich hatte Nierenschmerzen.
Dann Verlegung.
Es war nachts. Ich sehe mich um, der Bau wirkte wie eine verfallene Burg, lauter Schrott auf der Erde, verrostete Leitungen, die die Wände entlangliefen … Sie werfen mich in ein winziges Kämmerchen mit einem Fenster, das ein Loch in der Decke war. Ein kaltes, mickriges Licht fiel herein, es war, als säße man in einem Grab.
Vier Wochen dort drinnen. Täglich eine Stunde Hofgang. Es ist Weihnachten, die Richter und Staatsanwälte sind nicht da, nichts passiert. Später dann: Pozzuoli, die Irrenanstalt der Strafgefangenen.
Am Morgen hatte ich schrecklichen Hunger. Wir mussten uns umziehen. Das Waschen fiel aus, weil es kein Wasser gab. Seit sechs Tagen hatten sie kein Wasser. Tatsächlich stank es nach Scheiße, dass man schier erstickte. Diese Verrückten kackten überallhin und dann blieben sie den ganzen Tag so dreckig, mit der Scheiße und der Pisse, die an ihnen klebte, und wenn sie sich beschwerten, bekamen sie eine Pille in den Mund gesteckt und waren bis zum Abend wie belämmert.
Manche werden festgebunden, und wenn sie mit den Armen fuchteln, kriegen sie einen Eimer kaltes Wassser auf den Kopf. Sie werden nicht richtig trocken, viele sterben, ist aber anscheinend egal. So war das in den 1950-er und 1960-er Jahren in Italien, vor der Basaglia-Reform, und überhaupt war es damals eine grausame Welt, in der Männer herrschten und die Schwachen keine Rechte hatten. Man schlug sich irgendwie durch, doch wer in dem Spiel verlor, geriet unter die Räder. Pier Paolo Pasolini (1923-1975) hat diese Welt in seinen Filmen dargestellt, bei ihm geht es um Huren, Zuhälter, Diebe und Lebenskünstler in den borgate Roms.
Tonino hatte sie kennengelernt, der war Fahrer im Ministerium, schön und zärtlich, aber er achtete auf die Lederbezüge seines Autos und ließ sich von ihr aushalten; Teresa schuftete wie eine Irre, um das Abendessen und ein Hotel zu zahlen. Er tat nichts. Später wirbt Ercoletto um sie, schließlich verliebt sie sich, doch als sie im Gefängnis ist, kümmert er sich um eine andere, aber sie gewinnt ihn zurück, sie handeln mit gepantschtem Öl, nehmen sich eine Wohnung, und sie hat zwei Kinder, eins, Maceo, von einem früheren Mann, und dann einen Kleinen.
Der Kleine landet im Heim, und Maceo will von der Mutter nichts wissen, hat einen Job bei Pirelli und eine dumme Frau, sagt Teresa, die es immer wieder mit eitlen, eifersüchtigen und bösartigen anderen Frauen zu tun hat. Ihre Männer sind ja nicht besser. Haben Teresa nicht verdient. Why Can’t Men Commit? fragt Marianne Williamson. Sind sie so egoistisch, dass sie sich nicht hingeben können, sind sie berechnend oder einfach faul?
Am Ende ist sie wieder im Gefängnis, will nicht mehr klauen und mit Ercoletto eine ruhige Existenz führen. Da ist sie 53 Jahre alt, und mittlerweile wird sie gestorben sein, 1917 geboren, sie wäre jetzt ja 101. Sie hat es hinter sich. Aber sie hat immer gekämpft, hat nie resigniert, immer aufbegehrt (nur einmal, im Knast, da fühlte sich sich hoffnungslos und wollte sich aufhängen), brachte das Geld durch und schaute dann, was als nächstes geht. Hungerte viel, fror viel, schlief viel draußen. Man müsste die dritte Teresa auch heiligsprechen.
1973 drehte Carlo Di Palma den Film »Teresa la ladra« nach dem Buch. Die Hauptdarstellerin war Monica Vitti. In dem Buch sitzt Teresa mindestens die Hälfte der Zeit im Gefängnis; im Buch sind das nur 15 Minuten von 2 Stunden, und der Schluss ist auch anders. Da wird viel Dialekt geredet, und atmosphärisch ist der Film recht gelungen. Es ist so schön, wenn Monica Vitti verliebt ist! Leider wird sie dann immer reingelegt. Den Tonino spielt Michele Placido, damals 27 Jahre alt.
Fotos: Oben die Viale dei Colli Portuensi, auf die ich damals schaute; dann der Turm an der Appia antica, in dem die Teresa in Tod am Tiber sich versteckt; zwei Bilder des aufgegebenen psychiatrischen Krankenhauses in Rizzeddu, Sassari auf Sardinien; und ein Motiv aus Rom, Trastevere.