Theophrastus
Paracelsus gilt als der größte Arzt des Mittelalters (der Chirurg Ferdinand Sauerbruch meinte das etwa), und im September vor einem Jahr hatte ich über ihn geschrieben, nachdem ich eine Biografie gelesen hatte. Nun verleibte ich mir Paracelsus – Der Garten der Lüste von Rosemarie Schuder (1928-2018) ein.
Das Buch, geschrieben 1972, behandelt die eineinhalb Jahre, die Paracelsus, den die Autorin mit Theophrast betitelt, in Basel verbrachte, von 1526 bis Anfang 1528. Oft fortgejagt, musste Paracelsus auch Straßburg verlassen, doch man holt ihn nach Basel, wo er den Verleger Froben heilt. Dem sagt er:
Das ist jetzt nicht die Stunde, Ihnen von mir zu erzählen, was mich von den scholastischen Tellerleckern unterscheidet, warum ich ihre Übereinstimmungen Kälte mit Wärme, Feuchtigkeit mit Trocknem, Fülle mit Entleerungen nicht anerkenne. Ihre Lehre, jedes durch sein Gegenteil zu vertreiben. Sie kennen nichts anderes, sie können nichts anderes. Und die Mehrzahl ihrer Kranken stirbt. Lassen wir das jetzt, erzählen Sie mir, wie Sie Ihren Tag verbringen.
Paracelsus (oben in einer zeitgenössischen Darstellung) wetterte immer gegen die Ärzteschaft und machte sich überall Feinde. Die Allopathie gilt immer noch: Heilen mit dem Gegenteil. Und wenn die Homöopathie, die Heilen mit dem Ähnlichen vertritt, recht hätte? Eineinhalb Jahrtausende hielt sich die antike Säftelehre, genauso lange folgte man den Lehrbüchern des Galenus, der um das Jahr 200 starb. Im Mittelalter kam die Signaturenlehre auf, die mit Ähnlichkeiten arbeitete und die Pflanzenheilkunde schätzte, doch das war Sache von Heilerinnen und Heilern im Volk, von Nonnen und Mönchen. Die Pharmakologie triumphierte Ende des 19. Jahrhunderts, dampfte Pflanzensubstrat gnadenlos ein und presste es zu Pillen.
Vor knapp 30 Jahren erfand man die Evidence based medicine (EBM), um sich den Naturwissenschaften anzunähern. Fakten und klinische Studien. Ist das der Weisheit letzter Schluss? »Die ›wissenschaftliche‹ oder ›offizielle‹ Heilkunde befand sich immer«, schrieb (1954) der spanische Medizinhistoriker Pedro Lain Entralgo, »in einem dauernden und schwerfälligen Zustand der Ratlosigkeit.« Paracelsus in dem Roman (seine Worte sind vermutlich aus seinen Schriften):
Sie sagen, die Gegensätze heilen. Das ist falsch und in der Medizin nie wahr gewesen, sondern Heilkraft und Krankheit, das sind die Gegensätze. Heilkraft ist die Gesundheit, und die Krankheit ist gegen die Gesundheit. Diese zwei sind gegeneinander, und das eine vertreibt das andere mit dem Tod. … Erkennt den Mikrokosmos ind er äußeren Natur, und ihr werdet die Wunder und die großen Geheimnisse begreifen, die im Menschen liegen.
Seine Vorlesungen in Basel stören, er hält sie auf Deutsch, die Gegner formieren sich, und bald geht die Frage um: Hat Paracelsus Wiedertäufer geheilt? Feinde darf man nicht heilen, man muss sie sterben lassen. Die Gerichtsbarkeit bereitet sich vor – und Paracelsus flieht bei Nacht und Nebel in Februar 1528 aus der Stadt Basel; er darf sich nicht opfern, er muss sein Werk fördern. In Basel war er noch Theophrastus – erst danach, 1529, nennt er sich Paracelsus. Dann bleiben ihm noch 12 Jahre Leben. Er soll in Salzburg nicht vergiftet worden sein, sondern starb an zuviel Quecksilber im Körper. Vermutlich ging er damit gegen seine Syphillis vor. (Oben rechts der Humanist Erasmus, damals in Basel tätig; links Kaiser Maximilian, der Regent)
Rosemarie Schuder gibt ihm am Ende noch einmal das Wort. Was ist der Mensch?
Seine Erde ist Fleisch, sein Wasser ist Blut, sein Feuer ist seine Wärme, seine Luft ist sein Geruch. Obschon der Mensch nach Gottes Bildnis geschaffen ist und hat Blut und Fleisch, ist er nicht wie die Welt, sondern mehr als die Welt. Er ist außerhalb der Elemente, ein Auszug der vier und der Kern der vier. In der Zahl das fünfte. Die Quintessenz, das fünfte Wesen. Aber nur mit jener Schwingfeder im Herzen.