Die Reise ins Paradies (2)

Am 11. Mai 2014 stellte ich den Beginn der Erzählung Die Reise ins Paradies von Robert Musil in manipogo. Es ist ein früher Entwurf für den Mann ohne Eigenschaften und wurde in Musils Nachlass gefunden. Sind 17 Seiten, und jedes Mal eine Seite gibt eine kleine Serie mit der betörenden Sprache des Meisters, von dem wir zuletzt etwas gelesen haben.

Sie waren ohne Pässe abgereist und ein leises Gefühl von Furcht vor irgendeiner Entdeckung und Bestrafung begleitete sie. Als sie im Gasthof abgestiegen waren, hatte man sie für ein junges Ehepaar gehalten und ihnen dieses schöne Zimmer mit letto matrimoniale angeboten, das in Deutschland außer Gebrauch gekommen ist. Sie hatten sich nicht getraut, es zurückzuweisen.
(Nach den Leiden des Körpers die Sehnsucht nach primitivem Glück … Im Vergleich mit der ungeheuren Spannung vorher war es nichts. Und nachträglich war es in jeder Einzelheit ein konspiratorisches Glück. Und im Augenblick, wo die Widerstände schwankten und schmolzen, hatte Ulrich gesagt: Es ist auch das Vernünftigste, wenn wir nicht widerstehn; wir müssen das hinter uns haben, damit nicht diese Spannung das verfälscht, was wir vorhaben.
Und sie reisten.
Sie waren drei Tage geblieben.
Es muss doch auch so sein: immer wieder von einander entzückt. Die Skala des Sexuellen mit Variationen durchmessend.)
Wenn man darinlag, bemerkte man rechts von der Tür, hochgelegt und nahe einer Zimmerecke, an einer ganz unverständlichen Stelle ein ovales Fenster von der Größe und Form einer Kabinenluke; es war undurchsichtig-farbig verglast, beunruhigend wie ein heimlicher Beobachtungspunkt, aber von einem leichten Kranz gemalter Rosen umrahmt.  

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Als sie zum erstenmal auf die Straße traten: (Die Erschöpfung des übermäßigen Genusses im Körper, das aufgezehrte Mark. Es ist beschämend und beglückend.)
Geschwirr von Menschen. Wie ein Sperlingshaufen, der froh im Sand wühlt. Neugierige Blicke ohne Scheu, die sich zuhause fühlen. Im Rücken der vorsichtig in dieser Menge gleitenden Geschwister lag noch das Zimmer, lag das tiefe wie ein Windgekräusel auf dem Schlaf treibende Wachsein, die selige Erschöpfung, in der man sich gegen nichts mehr wehren kann, auch gegen sich selbst nicht, aber die Welt ferne wie einen blassen Lärm vor den unendlich tiefen Gängen des Ohrs hört.

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Weiter. Scheinbar Koffernomaden. In Wahrheit von der Unruhe getrieben, den Platz zu finden, der würdig des Lebens und Sterbens war.
Vieles war schön und hielt schmeichelnd fest. Aber nirgends sagte die innere Stimme: dies ist das letzte.
Endlich hier. Eigentlich hatte sie ein farbloser Zufall hergeführt, und sie nahmen nichts Besondres wahr. Da meldete sich leise und bestimmt die Stimme. Vielleicht waren sie, ohne es zu wissen, des kreuzenden Reisens müde geworden.

 

Robert Musil hörte anscheinend keine Stimme, die ihm sagte, es werde bald zu Ende sein. Sonst hätte er Verfügungen getroffen, wie mit dem Manuskript zu verfahren sei. Ein jäher Tod ereilte ihn, der gemeint hatte, noch ein langes Leben vor sich zu haben. Vielleicht war er auch des kreuzenden Schreibens müde geworden, ohne es zu merken. Darum dieser Beitrag an seinem Todestag, dem 77. ― Die nächsten Teile folgen bald.

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