Kleine Psi-Geschichte
Mein Essay über Spontanphänomene wird fortgeführt. Es ist fast drei Jahre her, dass ich ihn geschrieben habe. Von einer wissenschaftlichen Annäherung an Psi halte ich nicht mehr viel; aber was kann man sonst tun? Man weiß ja etwas und will ernst genommen werden. Wie nenne ich nun meine Disziplin? Spirituelle Gnosis (Erkenntnis)? Bis ich das weiß, kommt hier Teil 4, der locker die Geschichte der Psi-Phänomene behandelt.
Geistererscheinungen und paranormale Erfahrungen gehören zur Geschichte der Menschheit. Schon in der Bibel gibt es die Stimme aus dem Dornbusch und das Licht, das Saulus auf den richtigen Weg führte und zu Paulus machte. Christliche Mystiker des Mittelalters konnten Gedanken lesen, hellsehen und prophezeien. Von indischen Gurus, japanischen Mönchen und arabischen Sufis wird sich erzählt, dass sie Dinge herbeizaubern und an anderen Orten auftauchen konnten. Und allen Kulturen kennen Gespenstergeschichten.
Zur Zeit der Renaissance, also Ende des 15. Jahrhunderts, waren in Deutschland die Ärzte und Gelehrten Agrippa von Nettesheim und Paracelsus tätig, die die magia naturalis erforschten und lehrten. Magie war »ein elitäres, kulturell vermitteltes System«, schreibt Christoph Daxelmüller, und sie habe es ermöglicht, die das aus der Heiligen Schrift abgeleitete Weltbild in Frage zu stellen. Insofern waren die frühen »Okkultisten« Vorläufer der Naturwissenschaftler. Die Dinge hingen nach dem Muster »wie oben, so unten« und »wie im Großen, so im Kleinen« zusammen; es ging um Innen und Außen, also um Mensch und Kosmos. Aber Magie war nicht nur Wissen, sondern Emotion; Ioan P. Culianu beschwor die Identität von Magie und Liebe. Liebeszauber war immer wichtig.
Es kam zu einer Spaltung. René Descartes (1596–1650) führte den Dualismus zwischen Geist und Körper ein, um die Zuständigkeitsbereiche von Religion und Wissenschaft zu trennen. Sir Isaac Newton (1642–1727) legte mit seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica 1687 das konkrete Fundament der modernen Wissenschaft und konnte damit sein lebenslanges Faible für die Alchemie vereinbaren. Auch der Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) war in einem Zwiespalt: Ihn quälte die Frage nach dem Woher und Wohin, die Metaphysik, »in welche ich das Schicksal habe verliebt zu seyn«, sprach aber auch Prophetie und Telepathie jeden Anspruch auf »objective Realität« ab. In seiner Kritik der reinen Vernunft legte er die Philosophie auf die Vorannahmen des denkenden Subjekts fest (Wissen a priori) und überließ die empirischen Fakten, die daraus folgen, der Diskussion der Wissenschaft.
Die Seite der Emotionen verkörperte zu jener Zeit ein Mann wie Franz Anton Mesmer (1734-1815), den John Beloff den »ersten Parapsychologen« nannte. Der Mann aus Iznang am Bodensee schritt in Paris mit wallendem Gewand und einem Stab in der Hand zu sanfter Musik auf und ab und verabreichte schönen, an Hysterie erkrankten Damen magnetische »Striche«, und die Heilungen waren wohl einer Mischung aus seinem Charisma und einer hypnotischen Wirkung zuzuschreiben. Mesmer sprach von einem Fluidum, dem »animalischen Magnetismus«, das die Menschen verbinde.
Das stieß auf Skepsis, und Samuel Hahnemann, der ab 1790 an seiner Homöopathie arbeitete, ging es nicht anders: Sein empirisch gestütztes System wurde als »spekulativ« bezeichnet. Damals entdeckten auch deutsche Romantiker wie Karl Philipp Moritz und Johann Heinrich Jung-Stilling die Abgründe der Seele. Der schwäbische Arzt Justinus Kerner (1786-1862) betreute die medial begabte Friederike Hauffe und schrieb das Buch Die Seherin von Prevorst, das 1829 ein Bestseller wurde. Sein »Magikon« (1840-1853) war die erste parapsychologische Zeitschrift.
Ein anderer Einzelgänger hatte schon Mitte des 18. Jahrhunderts seine Bücher geschrieben: Emanuel Swedenborg (1688-1772), der nach einem Erweckungserlebnis berichtete, wie es drüben aussehe. Hundert Jahre nach Swedenborg brach in den Vereinigten Staaten von Amerika der »moderne Spiritualismus« aus. Denn im Haus der Familie Fox in Hydesville im Staate New York klopfte es, und zwei der drei Schwestern nahmen am 31. März 1848 mittels Klopfens den Dialog mit dem angeblichen Geist auf. Überall in den Vereinigten Staaten redete man nun mit Geistern.
Diese Welle, die auch auf den europäischen Kontinent überschwappte, führte letztlich zur parapsychologischen Forschung. Denn es gab viele Betrügereien, und einige Professoren wollten es genauer wissen. Sie überprüften Medien und waren oft beeindruckt. Die große Forschungsperiode dauerte fast ein halbes Jahrhundert. Als der Elan der Forscher nachließ, begann 1927 die Laborphase mit Telepathie-Experimenten von Joseph Banks Rhine in Durham, Nordkarolina. Damals wurde in Mitteleuropa die Quantentheorie vollendet, die 400 Jahre nach der Magie in ihrer Rätselhaftigkeit Poesie und Philosophie, Pragmatik und Präzision vereinen sollte.
Folgt Teil 5 und Schluss.