Weißes Algerien, buntes Nichts

Warum Weißes Algerien? Die Autorin bietet mehrere Lösungen an, aber es ist ja egal, ob es das Weiß ist, auf dem Schrift entsteht oder das Weiß einer besudelten Morgenröte oder das Weiß durch den Schnee auf den hohen Bergen Algeriens. Unsere Heimat ist zunächst unsere Sprache.

Assia Djebar beendet ihr Buch mit folgendem Appell:

Im Leuchten dieser Wüste, in der Zurückgezogenheit des Schreibens, auf der Suche nach einer Sprache außerhalb der Sprachen, in sich die ganze Raserei der kollektiven Selbstvernichtung auslöschen, wieder im Wort heimisch werden, das allein unser gedeihliches Vaterland bleibt.

Muttersprache und Vaterland greifen ineinander, und man wird dessen inne, wenn es um Leben und Tod und den Selbstrespekt geht. Wir im Westen denken anders. Zwar haben wir eine Revolution hinter uns, aber die Folgen und Implikationen haben die wenigsten begriffen. Die instantane (sofortige) Kommunikation aller mit allen wurde möglich, das Individuum konnte sich realisieren wie nie zuvor. Doch das Medium, durch das kommuniziert wird – die Sprache – wird weder ernst genommen noch respektiert.

Man muss das Emporkommen einer technischen, blutarmen, dürren Sprache registrieren. Es wird geschrieben und geredet, wie man lebt: achtlos, hektisch, den Fakten gehorchend. Die vielseitigen Romane mit viel Handlung und endlosen sinnlosen Dialogen haben die Literatur banalisiert und ausgehöhlt. Werbung und Politik knallen uns ihre Parolen hin, über die man besser nicht nachdenkt, denn ihr Sinngehalt ist null. Es geht nur um den schnellen Effekt, dem dann auch die Korrektheit weichen muss. Gender-Talk (social correctness) gibt es – die Radfahrenden, die Pflegenden -, was zu begrüßen wäre, wenn ihn konkrete Handlungen, etwa Gleichbezahlung, flankieren würden. Es bleibt aber beim Talk.

Das Wort der Muttersprache, unser allein gedeihliches Vaterland. Ernst Cassirer hat Sprache, die Kunst und den Mythos als symbolische Formen begriffen. Sprache bildet metaphorisch etwas ab, das es nicht ist. Doch sie lässt ahnen, was hinter dem Denken steckt und was diesem möglich wäre. Die Endgültigkeit der positivistischen Aussagen ist Lüge; die Wahrheit steckt in der Ambivalenz und der Verstörung durch kryptische Aussagen, die allein aussagen, was möglich ist.

Wir wissen ja wenig und können unsere Ohnmacht nur verschleiern. Nicht länger herrscht mehr Adornos geraunter Jargon der Eigentlichkeit wie in den 1960er Jahren, sondern ein unreflektiertes Drauflosquatschen, das alles entzaubert, was im Hintergrund brüten mag. Unklarheiten und Schatten mag der moderne Mensch nicht, deshalb schätzt er den Krimi mit der Lösung am Schluss. Alles wird ausgeleuchtet bzw. erklärt, und alles ist clean und perfekt und bunt, aber nichtssagend, da reine Oberfläche. Alles wird zum technisches Problem, theoretisch lösbar, alle sind selbstgerecht und wissen alles besser. Dabei wissen wir so wenig.

Beinah etwas vergessen (das fällt mir dann regelmäßig beim Radfahren ein): Gehypt und übertrieben wird an anderer Stelle, klar, das religiöse und lyrische Vokabular wird auf irdische Dinge geworfen, denn preisen und verehren will man, der Mensch ist tief drinnen religiös. Ihr Ansprechpartner für anspruchsvolle Immobilien im Markgräflerland sieht zum Beispiel wie ein Pfarrer aus: kurzes Haar, siegreiches Grinsen, schwarzes Hemd und weiße Krawatte, die auf den ersten Blick wie das Beffchen der Priester wirkt, die weiße Halsbinde. Alle sprachlichen Register zieht man beim Fußball, die Werbung bedient sich frei und unverfroren bei Liebe und Leidenschaft. In der Summe stimmt es vermutlich wieder.

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