Touristenleben in Kulissen
Prag anschauen, feine Sache, dachte ich mir. Es gab einen Shuttle vom Campingplatz zur Bahnstation, dann elf Minuten Zugfahrt, und schon war ich mitten drin. Je mehr ich mich dem Zentrum näherte, desto kurioser fand ich es. Da waren ja nur Touristen unterwegs! Wo bin ich denn hier? Lang hielt ich es in Prag nicht aus.
Es kam mir vor wie absurdes Theater, und ich dachte an die herrlich absurden tschechischen Autoren, die sich heute darüber amüsieren würden. Du siehst von der Stadt nichts. Es sind nur schön aufbereitete Kulissen, durch die Schwärme und Schwadronen von Touristen strömen, die viel essen und trinken und sich von tapferen Guides etwas über mittelalterliche Könige und Königinnen erzählen lassen.
»Prag hat keine Realität«, sagte Franz Werfel. Hier lebten viele Kulturen, darum war es (schreibt Jeremy Adler in dem Buch Kafka und Prag, 1991) zu einem »Ort für Heimatlose geworden«, »zu einem Ort, der niemandem ein klar definiertes Daheim gewähren konnte«. Franz Kafka hasste und liebte seine Stadt, die er als Daheim wie auch als Gefängnis empfand.
Heute ist diese Stadt ausgelutscht. (Doch Prag übersteht das.) Die Karlsbrücke, die Postkarten herzeigen, indem sie sie leer zeigen, ist voll mit tausend Menschen. Was wollen die? Auf der Karlsbrücke gestanden sein? Ist es das? Ich erinnerte mich an einen Reiseblog, in dem die Autorinnen über einen tibetanischen Tempel schrieben, das Spirituelle wollten sie beiseite lassen, sie interessiere das Touristische. Was ist es denn?
Die Touristen laufen und schauen und saugen eine Stadt leer. Sie erfreuen sich am Landestypischen und streifen umher wie marodierende Horden. Die Erzählungen der Führer sind bloßes Alibi. Die Touristen lassen Geld da. Indem sie herumlaufen, verändern sie die Stadt und zerstören sie. Beispiel: Zwei Museen fielen mir auf, eins über Sexspielzewuge und eins über mittelalterliche Folter. Das zeigt, auf welchem Niveau gewisse Kreise (Geschäftemacher) die Touristen verorten. Da werden niedere Triebe angesprochen, um Kasse zu machen. Kafka hat aber auch seine Gedenkstätten.
Prag, Barcelona und Venedig sind nur mehr Namen, hinter denen sich nichts mehr verbirgt. Man könnte diese Städte sich selbst überlassen. Sie sind leer. Der Tourismus hat sie leergefressen.
Das hat mit dem Internet zu tun, dem großen Massenmedium, das dem breiten Geschmack zum Triumph verhilft. Man muss mal dort gewesen sein, also fährt man hin. Autos haben sie alle, Geld haben sie alle, Zeit auch, und los geht’s. Tourismus ist Konsum der schlimmeren Sorte. Da bleibt, im geistigen Sinn gedacht, kein Stein auf dem anderen.
Der Baedeker-Bildungstourismus ist schon lange her. Man hatte die Illusion, durchs Reisen seinen Horizont zu erweitern. Bessere Leute wanderten hochnäsig oder andersherum, mit der Nase im Buch, durch schöne Stätten. Damit verändert man sich nicht. Wenn man dort lebt (und meint, es zu müssen), dann schon.
Dann kam der Massentourismus, und die Massen fahren durch diese Städte wie Messer durch Butter, dann wieder heim und: In Prag gewesen. Tolle Stadt. Doch die Vergnügungssucht, die Angst vor Langeweile und das Verkehrsmittel führt (und verführt) dazu, dass Menschen dauernd herumfahren, alles zuparken und dennoch nicht glücklich werden. Jedenfalls weiß man, wovon man sich fernhalten muss.
Beiträge über Prag:
Unter der steinernen Brücke
Der Golem.
Beiträge über den Massentourismus:
Alptraum Tourismus
Barcelona
Vampire und Voyeure
Vampirismus.