Eine Küche in Estland

Romane haben oft den guten Nebeneffekt, dass man mehr über die Hintergründe wissen will. Der Roman Fegefeuer von Sofi Oksanen (2008) spielt in Estland, und hinterher interessierte mich die Geschichte der baltischen Staaten im Zweiten Weltkrieg und danach. Nun weiß ich mehr.

Die baltischen Länder sind Litauen im Süden, Lettland in der Mitte, Estland im Norden. Zusammengenommen haben sie nicht einmal 6 Millionen Einwohner und sind vielleicht so groß wie die Schweiz und Österreich. Vor 100 Jahren wurden sie unabhängig, 1940 überfielen sie die Russen, danach überfielen sie die Deutschen, und 1944 kamen wieder die Russen. Erst 1991 wurden die baltischen Länder unabhängig.

006Die Russen deportierten 1940/41 Zehntausende in die Gulags, die Deutschen sonderten danach die Juden aus und ermordeten sie, und die Russen nach ihrer zweiten Besetzung schickten wiederum zehntausende Menschen in Lager. 50 Jahre Angst. Die Angst herrscht auch in einer Küche eines Hauses in einem estnischen Dorf, in dem Aliide lebt. Zara, ihre Großnichte, taucht unvermutet (und unerkannt) auf und wird von Aliide aufgenommen, die auch einmal viele Jahre einen Mann versteckte.

Den Mann liebte sie, doch er heiratete ihre Schwester, die dann abtransportiert wurde. Das alles geschah von 1944 bis 1951, und die Rückblenden sind in die Handlung eingestreut, die sich in den Jahren 1991 und 1992 abspielt. In der Küche kochen die Emotionen hoch oder werden mühsam unter dem Deckel gehalten. Sofi Oksanen, 1977 in Finnland geboren, schrieb ihre Geschichte erst als Theaterstück, das vermutlich die Küche als Schauplatz hat.

ufo7Ein Jahr später legte sie den Roman vor, der großen Erfolg hatte. Schon der erste Satz des Buches hat Bedeutung, doch das begreift man erst auf den letzten Seiten. Zara ist 25 Jahre alt, wollte in Deutschland Geld verdienen, wurde aber in die Prostitution gezwungen. Die Seiten über ihr Martyrium liest man begleitet von körperlichem Unbehagen, denn Pascha, ihr russischer Zuhälter, ist grausam. Jedoch nehmen einen die Ausflüge nach Berlin 1991 fort aus der Küche, in der es sonst zu klaustrohobisch wird. (In der Eile schrieb ich mehrmals und irrtümlich Kühe für Küche; Stalins KüheStalinin lehmāt – war Sofis Debütroman 2003.)

Zara kann der Gefangenschaft entkommen und flüchtet zu Aliide, die selber eine dunkle Geschichte hat. Dann tauchen Pascha und sein Freund Lawrenti auf: in einer schwarzen Limousine, und sie tragen schwarze Stiefel. Sie stellen Fragen, weil sie ihre Nutte wiederhaben wollen, die nun in demselben Verschlag lebt, in der Aliides geliebter Hans einmal lebte.

Atmosphäisch dicht ist das geschildert, mit überraschenden Wendungen und sparsamen Dialogen. Das geht voran, und ich wachte einige Morgende mit Vorfreunde auf und beherrscht von der Spannung, was wohl ›heute‹ passieren würde. Besseres kann man über einen Roman nicht sagen.

 

… und über manipogo kann man sagen, dass gestern die Marke der einen Million Zugriffe überschritten wurde. Manche Seiten haben das in einem Monat, ich brauchte 7 Jahre und 4 Monate dafür, dennoch freut es mich gewaltig. Eine Million Klicks! Man muss sich manchmal motivieren, wenn über Wochen täglich nur 700 Zugriffe zu verzeichnen sind, ach, stimmt schon alles, ich kenne ein paar Leute, für die der Tag mit manipogo beginnt, und das macht mich stolz und ich danke euch allen! 

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