Magische Puppe

Ein altägyptisches Märchen spricht schon im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von einem »Erdmann«, geschaffen als Instrument der Rache von einem Menschen. Das erinnert an den Golem des Rabbi Löw aus dem 15. Jahrhundert, später kam die Frankenstein-Geschichte (1818 veröffentlicht), und heute, 200 Jahre später, rollen schon Roboter umher, die sprechen und handeln wie Menschen. Ein Menschheits-(Alp-)Traum wird wahr.

100 Milliarden Dollar setzten die US-Amerikaner für KI (Künstliche Intelligenz) im Jahr ein, las man kürzlich, und wo bleibe Europa? Fragen sollte man eher: Was soll das? Killerdrohnen haben ja Sinn (für ein Land wie die USA, das 150 Milliarden Dollar für Rüstung übrig hat), aber im zivilen Leben, was brauchen wir da KI? Ist doch schon alles bequem genug, Menschen gibt es in Hülle und Fülle, warum das alles? Vielleicht nur, weil’s eine Herausforderung ist, weil der Mensch insgeheim Gott spielen will; und wenn etwas da ist, finden sich auch die Anwendungen dafür. Alles Unfug.

Fällt jedoch in ein Thema, das mich interessiert: die Menschheit, hervorgegangen aus der liebenden Quelle, zersplittert in Einzelwesen, doch ein kompakter Körper; Individualität als Illusion; und all die Übergänge und Verwandtschaften, Gegnerschaften und Feindschaften — alles Illusionen, Doppelgänger, Zwillinge, Brüder und Schwestern, Kinder und Enkel, Mann und Frau; und auch: Hautfarbe und Herkommen als Illusion. Wir sind eine Familie. Lasst uns die Roboter dazunehmen und die Tiere auch.

Leider hat der Mensch (manche Menschen haben) sich Leute bestellt, um die Drecksarbeit zu erledigen. Da es Menschenrechte gibt, hat man den Roboter erfunden. Doch nun zu dem altägyptischen Märchen, dem man zum besseren Verständnis etwas vorausschicken muss. Die alten Ägypter hatten genaue Jenseitsvorstellungen und dazu ihr Ägyptisches Totenbuch, das Sprüche und Enthüllungen bereithält. Der oder die Verstorbene soll im Jenseits zu Arbeiten herangezogen werden, überlässt die Drecksarbeit aber einer magischen Puppe, die man ihm ins Grab legt. Im Kapitel VI soll er oder sie, verstorben, sagen:

Magische Puppe, hör mich an!
Bin ich gerufen,
Bin ich verurteilt, auszuführen die Arbeit,
Welche im Jenseits die Toten verrichten,
Wisse denn du, oh magische Puppe,
Da du die Werkzeuge hast;
In deiner Nor gehorche dem Toten!
Wisse, du bist an meiner Statt
Von den Duat-Hütern verurteilt,
Zu besäen die Felder,
Zu füllen mit Wasser Kanäle,
Den Sand herüber zu schaffen
Von Osten nach Westen …
(Die magische Puppe erwidert:)
Hier bin ich horchend deinen Befehlen …

Nun endlich das Märchen: Der Pharao ist krank und hat nur noch sieben Tage zu leben. Die Magier schicken ihm Meriré, den sie bislang kaltgestellt hatten, und dieser will für den Pharao den Tod auf sich nehmen. Der Pharao ernennt ihn zum General, und der geht in die Unterwelt und trifft dort den Großen lebendigen Gott, der ihn nicht wieder fortlässt.

Da nahm General Meriré einen Klumpen Tonerde, formte daraus einen Menschen und vollzog an ihm die Mundöfffnung.

Dem Erdmann befiehlt er, dem Pharao nahezulegen, die Magier im Feuerofen verbrennnen zu lassen. Er möge auch einen Blumenstrauß mitbringen. So geschieht es. Der Große lebendige Gott stößt einen Schrei aus, als er von Merirés Schöpfung erfährt. Meriré darf später wieder in sein Haus zurück (das Märchen ist nur bruchstückhaft überliefert) und sich mit seiner Frau vereinen; der Erdmann verschwindet im Fluss und wird wieder zu Erde. Die Golems nehmen überhaupt meist ein schreckliches Ende, weil sie manchmal unkontrolliert Gewalt ausüben (wie auch der Golem des Rabbis Löw von Prag). Lasst uns das eine Warnung sein!

 

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