Alles so schön bunt hier. Und lebensbejahend
Meine Fortbildung dieses Jahr war vor ein paar Tagen das Seminar »Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen« in Freiburg. Da erfuhr man manches, was man nicht gewusst hatte, und am interessantesten waren die Erfahrung der anderen Frauen in ihren Heimen, wo sie als Alltagsbegleiterinnen oder Betreuuungsassistenten tätig sind. Natürlich fehlte der Blick nach drüben: dorthin, wo es wirklich bunt und schön ist und wo Seligkeit herrscht.
Da fischt man gern im Trüben oder redet gar nicht darüber. Die referierende Pastoralreferentin, in der Hospiz-Bewegung tätig, sagte zwar, nach dem Heimgang eines Menschen spüre sie »Ruhe und Frieden« in dem Zimmer, und der Heimgegangene (wie schön, dieser Ausdruck) sei dann in einem größeren Ganzen aufgehoben (wobei sie ihre Hände schwenkte), und das war schon das Äußerste, wozu sie sich hinreißen ließ. Theologen hierzulande sprechen nur ungern vom Paradies, das in der christlichen Lehre zwar festgeschrieben ist, aber die Stimmung im Lande ist dagegen.
Wir leben penetrant in der Gegenwart, die Geschichte ist an die Universitäten delegiert worden, Metaphysik nur mehr peinlich, und den Tod haben wir mittlerweile vereinnahmt, indem wir scheinbar neutral und faktisch und begierig über ihn reden (wie über Sexualität), ohne ihn ernst zu nehmen. Der Tod ist ja der der anderen. Wer von ihm betroffen ist, möge sich herumquälen; für die anderen ist es ein Thema wie viele andere, denn wir sind ja aufgeklärt und obercool. Es sterben die anderen, was unseren Lebensgenuss nur noch erhöht. Wir färben das Dunkle bunt, und es funktioniert. (Aber nur eine Weile. Lange geht das nicht gut.)
Eine »lebensbejahende Stimmung« nahm der Freiburger Messechef bei einem Besuch der Messe Leben und Tod in Norddeutschland wahr, und das hat ihm gefallen. Obendrein sagte er: »Die Messe widmet sich auf positive Weise einem Thema, das oft ernst und traurig ist.« Ach was, wirklich? Ist es das? Jedenfalls wird am 23. und 24. Oktober 2020 diese Messe auch in Freiburg stattfinden. Überschrift in der Zeitung Der Sonntag: »Das Interesse ist da.« Interesse an der Messe. 150 Aussteller. Auch einen Beerdigungs-Clown gibt es, er heißt Kaala Knuffi. Der Chef der Messe Bremen hatte den Einfall, das Thema Tod »in einer lebensbejahenden Stimmung anzugehen: bunt statt trist«. Hat geklappt. 5000 Besucher jedes Jahr, in der Gewinnzone. Die Machart liegt im Trend. Nehmt dem Tod seinen Stachel weg, und schon wird alles so schön bunt hier (Zitat aus: Ich glotz TV von Nina Hagen, 1978. Ich kann mich gar nicht entscheiden, alles so schön bunt hier … fühl mich schon wie meine Omi … sie wird nächstes Frühjahr 65, hey!).
Dass der Tod ein Teil des Lebens sei, beobachtet Freiburgs Finanzbürgermeister auf den Friedhöfen. Die Chefin des Hospiz- und Palliativverbands im hiesigen Bundesland hält für ihre Zielgruppe »ganz normale Menschen, die sich auf lockere und bunte Art unverbindlich informieren wollen«, hey, was ist denn das, auf lockere und bunte Art, bin ich im absurden Theater gelandet? Denn so reden auch die Vorstände der Raiffaisenkasse und des Brauereigewerbes. Die Mönche machen Werbung, der Tod wird im konsumentenkompatiblen Totentanz vorgeführt … ich muss mich wiederholen: Eremit möchte man manchmal sein.
Bilder, von oben nach unten: St. Gallen, unser Wohnzimmer, 2006; Pisa, alter Friedhof, 2013; vor der Geisterbahn, auf der Wies’n, 2008; Kneipe in Berlin, 2014.