Mark Twain in Rom
Mark Twain (1835-1910) machte mit seinen Satiren und Humoresken Schule. Man liest ihn immer mit Gewinn. Der Ruhm kam über ihn, als er vor 150 Jahren das Reisebuch The Innocents Abroad veröffentlichte (dt. Die Arglosen im Ausland). Es behandelte eine fünfmonatige Europareise, die ihn 1867 mit dem Schiff The Quaker auch nach Venedig, Florenz und Rom führte — und da wurde es für mich interessant. Mark Twain enttäuscht einen nie.
1867 war Italien erst seit 6 Jahren ein Königreich, und die Unabhängigkeit folgte erst 1871. Den ersten Satz Mark Twains aus der folgenden Passage werden viele unterschreiben wollen — und den Rest auch.
Es gibt eine ganze Menge Dinge an diesem Italien, die ich nicht begreife — und besonders kann ich nicht begreifen, wie eine bankrotte Regierung so palastartige Bahnhöfe und so wunderbare Chausseen besitzen kann. … Dieses Land ist bankrott. Es ist keine echte Grundlage für diese großen Werke vorhanden. Der Wohlstand, den sie andeuten möchten, ist Schein.
Das stimmt 150 Jahre später immer noch (oder schon wieder). Italien gehört weltweit zu den am meisten verschuldeten Ländern — 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 235 Billionen Euro. Eine Schuldenuhr auf dieser Seite zeigt, wie die Staatsverschuldung sekündlich steigt. Sie beträgt 38.943 Euro pro Bürger. Eigentlich ist Italien bankrott, aber es wird ignoriert.
Damals bediente sich der Staat beim Kirchenvermögen: ja, das im »pfaffengeplagten Italien«, das »seit sechzehnhundert Jahren in der schwärzesten Nacht priesterlichen Aberglaubens herumtappt«. Damals wurde eine Heerschar von Priestern gut besoldet, denen wahre Heerscharen von Bettlern gegenüberstanden. Und der Prunk der Kirchen! Die großen Maler, die die machtgeilen Medici-Fürsten porträtierten, Schande über sie! Mark Twain denkt sich einen Römer nach Amerika und wie er zurückkommt und berichtet, was er gesehen hat in Amerika: dass dort die Juden nicht getreten und ausgestoßen werden, sondern frei sind wie alle anderen Bürger; dass die Leute gar nicht wissen, wie gut es ihnen geht; und Reichtum habe in den Vereinigten Staaten einen Zweck,
denn wenn ein Mann dort reich ist, wird er sehr geehrt und kann Gesetzgeber, Gouverneur, Senator werden, gleichgültig, was für ein dummer Esel er ist —
Und wir ergänzen, 150 Jahre später: auch Präsident. Dann ereifert sich Mark Twain noch über die Michelangelo-Verehrung und die Fülle der Gemälde und Kunstschätze — mit Rom kam er nicht zurecht, weil er sich »die ganze Zeit über wie ein kleiner Junge in einem Süßwarenladen fühlte — es gab eine riesige Auswahl und doch keine Wahl!« Dann noch eine kluge Beobachtung: Die Kirchen sind meist der Muttergottes geweiht, und die Rangfolge der heiligen Persönlichkeiten in Rom liest sich so:
Erstens — »Die Muttergottes« — auch Jungfrau Maria.
Zweitens — Gott.
Drittens — Petrus.
Viertens — etwa zwölf oder fünfzehn kanonisierte Päpste und Märtyrer.
Fünftens — Jesus Christus, unser Heiland — (aber immer als kleines Kind im Arm der Mutter).
.. Es gibt keine »Christuskirchen« in Rom, und ich kann auch keine »Kirche zum Heiligen Geist« entdecken.
Vielleicht lief die christliche Lehre der heiligen Dreifaltigkeit wirklich ins Leere. Das Volk war bodenständig, liebte Maria und bekannte Figuren, während Jesus Christus und der Heilige Geist ihm zu wenig fassbar waren. Die Gläubigen gingen brav zur Messe und beteten mit, aber sie schufen sich ihre eigene Lehre, und das muss einen erfreuen, das ist stille Anarchie im Angesicht der Kirchenhierarchie.