Mark Twain in Athen (II)

Die Überschrift reimt sich sogar! Dabei hieß der Autor von Geburt an Samuel Langhorne Clemens und nahm erst später seinen Künstlernamen an, der ein Ausruf der Mississippi-Schiffer ist und zwei Faden bedeutet und damit: Achtung, nicht mehr viel Wasser unterm Kiel! Nach Rom besuchte die US-Reisegruppe 1867 Neapel und Athen, und wie Mark Twain, der damals 32-jährige, die Tempel und Statuen im Mondlicht schildert, ist lesenswert.

Mark Twain schreibt vom »Elend, das in jüngeren Zeitaltern über die Griechen gekommen ist«. Erst 5 Jahre vor der Reise der Amerikaner war der Bayer Otto I. von Wittelsbach (S0hn von König Ludwig I.) nach 30 Jahren auf dem Thron vertrieben worden.

Dann schlichen sich die Reisenden in den berühmten Parthenon-Tempel ein.

12739r»Als wir gedankenvoll über das marmorne Pflaster der Länge nach durch diesen erhabenen Tempel wanderten, umgab uns ein seltsames und eindrucksvolles Bild. In verschwenderischer Fülle verstreut, standen hier und da, gegen Marmorblöcke gestützt, schimmernde weiße Statuen von Männern und Frauen, einige von ihnen ohne Arme, einige ohne Beine, andere ohne Kopf — aber alle sahen im Mondlicht traurig aus und so verblüffend menschlich! Sie DSCN0255erhoben sich und traten dem mitternächtlichen Eindringling von allen Seiten entgegen — aus unvermuteten Winkeln und Nischen hervor starrten sie ihn mit steinernen Augen an; über angehäufte Bruchstücke weit hinten in den verlassenen Gängen hinweg lugten sie nach ihm aus; mitten auf dem weiten Forum versperrten sie ihm den Weg und wiesen mit Armen ohne Hände ernst den Weg aus dem geheiligten Tempel; durch den dachlosen Tempel blickte der Mond, zeichnete Streifen auf den Boden und verdunkelte die verstreuten Bruchstücke und zerbrochenen Statuen mit den schrägen Schatten der Säulen. (…)

Der Ort schien von Geistern belebt zu sein. (…)

DSC00361»Der Vollmond stand jetzt hoch am wolkenlosen Himmel. Wir schlenderten sorglos und gedankenlos an den Rand der hohen Zinnen der Burg und schauten hinunter — ein Traumbild! Und was für ein Traumbild! Athen im Mondlicht! … Es lag in der flachen Ebene gerade zu unseren Füßen — ausgebreitet wie auf einem Gemälde —, und wir blickten darauf wie von einem Ballon aus. Wir sahen keine Spur einer Staße, aber jedes Haus, jedes Fenster, jede rankende Rebe, jeder Vorsprung hob sich so deutlich und scharf ab, als wäre es Mittag gewesen; doch es gab keinen grellen Schein, kein Glitzern, nichts Schroffes oder Abstoßendes — die lautlose Stadt war von dem weichsten Licht überflutet, das jemals vom Mond herabgeströmt war, und schien ein in friedlichen Schlummer gehülltes lebendiges Wesen zu sein.

Mexico 041»An der entgegengesetzten Seite stand ein kleiner Tempel, dessen feine Säulen und zierliche Fassade in einem satten Schimmer leuchteten, der das Auge wie mit Zauberkraft an sich fesselte; und näher zu unserem Standort reckte der Palast des Königs seine elfenbeinfarbenen Mauern aus der Mitte eines großen Gartens voller Buschwerk empor, der über und über mit einer Fülle bernsteinfarbener Lichter besetzt war — ein Gischt goldener Funken, die in der Herrlichkeit des Mondlichts an Glanz verloren und auf dem Meer dunklen Laubwerks so sanft blinkten wie die bleichen Sterne der Milchstaße.

»Zu Häupten die erhabenen Säulen, majestätisch noch im Verfall, zu Füßen die träumende Stadt, in der Ferne das silberne Meer — nirgends auf der weiten Erde gibt es ein Bild, das nur halb so schön wäre!«

 

Illustrationen, von oben nach unten: Parthenon-Tempel, Fotograf Charles L. Wasson (1902); Agias Trias, Keystone View Company (1895); Blick auf die Ruinen, Underwood & Underwood (1907). Dank an Library of Congress, Wash. D. C. 

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