Der Korrespondent

Als Korrespondent aus einem fernen Land zu berichten, ist für viele ein Traum. Doch wird heute das Korrespondentennetz immer weiter ausgedünnt. Die Zeitungen verlieren an Auflage und haben nicht mehr viel Geld, und seit Internet weiß man ohnehin alles, und die Leute schmoren sowieso in ihrem eigenen Saft. Sie bekommen What’s-App-Miniberichte von Freunden und wollen nicht unbedingt wissen, was in Bangkok oder Lagos abgeht. Was hier abgeht, kriegt man durch Gespräche so nebenbei mit. Schauen wir mal!

Auslandskorrespondenten geben ihre Beobachtungen wieder und Fakten aus offiziellen Quellen. Stimmen aus der Bevölkerung würzen den Cocktail, und früher hieß es, die diesbezügliche Quelle sei meist der Taxifahrer gewesen, der den Korrespondenten oder seine Kollegin herumfuhr. Ich traf zwei Leute und fand das interessant. So erfährt man etwas über unser Land.

Der eine war Professor für Feinmechanik in Berlin und ist heute pensioniert, der andere arbeitet auf dem Sozialamt in Freiburg, in einem Job-Center. Was sie mir sagten, passt zusammen und ergibt ein Bild. Beide Männer hatten und haben es mit jungen Leuten zu tun.

Der Ex-Professor sagte, die jungen Leute wollten es sich nicht schwer machen. Manche Ingenieur-Studengänge kriegt man nicht mehr voll. Die Universitäten lassen sogar die Mathematik beiseite oder benoten sie nicht, damit sie genügend Studenten bekommen. Denn anstrengen will sich kaum einer mehr. Einen irren Zulauf hatte allerdings ein Fach, in dem es um Computerspiele ging. Aus den Vorlesungen gehen Studenten einfach raus, um sich einen Kaffee zu holen oder kommen rein, um mal reinzuschauen. An mehr erinnere ich mich nicht, es ist schon Wochen her.

Dazu gehört auch die Information, dass junge Leute heute einen schönen Schreibtischjob anstreben. Wer kann ihnen verdenken, dass sie nicht unbedingt im Altenpflegeheim oder im Krankenhaus arbeiten wollen (es sei denn als Chef oder Oberarzt), dass sie nicht Müllfahrer oder Handwerker sein wollen? Dazu brauchen wir Menschen aus anderen Ländern, und irgendwann wird es sein wie bei den Engländern in Indien, die sich von den Einheimischen bedienen ließen. Ist nicht weiter schlimm; doch ist die verbreitete Abneigung, sich in den Dienst des Nächsten zu stellen, kein schöner Zug.

Der Sozialarbeiter sprach von jungen Leuten mit Anspruchsdenken, die nur wüssten, worauf sie Anrecht hätten, ansonsten aber nicht viel täten. »Da wachsen viele Egoisten heran« , sagte kürzlich ein Soziologe in einem Interview, und von Empathie braucht man da gar nicht zu sprechen, sie ist nicht vorhanden. Viele 15-Jährige sind Analphabeten; man habe versucht, auf der Straße mit ihnen Sport zu treiben, aber das habe sie nicht interessiert. Durch Gruppendruck gleich Irokesenschnitt und Piercings, Job gibt’s dann keinen, dafür Sozialhilfe bis zum 80. Lebensjahr. Wenn einer die Bedingungen für Hartz IV nicht erfüllt, gibt’s Sanktionen, was jedoch vom höchsten Gericht nun aufgeweicht wurde. Unser Sozialarbeiter sagte, dass 95 Prozent derer, die mit dem Verlust der Beihilfe bedroht waren, sich eine Arbeit gesucht hätten. Plötzlich klappte es; weil es ums Geld ging.

Andere kriegen Geld, um ihre Miete damit zu bezahlen, tun es aber nicht. Sie legen eine rätselhafte Passivität an den Tag, eine Art Masochismus beherrscht sie. Irgendjemand wird es richten, mögen sie denken. Die Zeit verrinnt, sie tun nichts und ignorieren Schreiben und Appelle.

Der Mann war auch drei Tage mit Obdachlosen unterwegs und sagt, früher habe es Solidarität und einen Ehrenkodex gegeben, jetzt nicht mehr. Die älteren Obdachlosen haben vor den jüngeren Angst. Und die jüngeren werfen Plastikflaschen einfach weg, anstatt die paar Meter zum Supermarkt zu gehen und sich ein paar Cent abzuholen. Kein Interesse, null Bock. Davon wurde schon vor 30 Jahren gesprochen, von der Null-Bock-Generation, fälschlicherweise, aber nun ist sie wohl da. Dabei ist sie selbstgerecht und fällt schnell mal moralische Urteile, ohne sich vorstellen zu wollen, was dahintersteckt. Kennen wir alle.Ein Apachenkrieger sagte einmal: »Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.« Das wäre gelebte Empathie. Die anderen sind eben auch Menschen und keine Monster, was bequem wäre.

Bequem sind sie alle, sind wir alle. Ich glaube aber, langsam ahnen wir, dass diese bequeme, satte, gelangweilte Gesellschaft untergehen wird, die Frage ist nur, wann sie das tut. Das antike Griechenland der Polis hielt etwa 600 Jahre, das alte Rom auch so lange, und wir schaffen es vielleicht nur 250 Jahre und haben überdies dem Planeten ziemlich zu schaffen gemacht.

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