Der Korrespondent (2): Wein und Wahrheit

Vielleicht sollte ich dieses Jahr mehr über dieses Land sprechen. Der Korrespondent hört ja so allerlei und kann es ruhig publizieren. Kürzlich, noch vor Weihnachten, schenkte mir mein Winzer eine Literflasche Gutedel und schüttete mir dabei sein Herz aus (und zum Glück nicht den Wein).

Er mag ein paar Jahre jünger als ich sein, arbeitet seit seiner Jugendzeit im elterlichen Weinbaubetrieb, den er dann übernahm, und er ließ mich raten, wieviel Rente er dereinst beziehen würde. Na? Ich kriege 511, sagte ich, aber ich habe ja nur 15Jahre gearbeitet, sagte ich, ist gerecht. Er dagegen hat 45 Jahre in die Rentenkasse der Landwirtschaft eingezahlt und bekommt — 620 Euro. Die neue Grundrente, die armen Rentnern etwas aufhelfen soll, gelte gerade für Landwirte nicht. Ein Witz. Und dann klagte er: Die Weinbauern und Landwirte seien für alle die »Giftspritzer«, aber wer sorge wohl dafür, dass die Wiesen gepflegt seien und das Gras gemäht? Sie leisteten unendlich viele Stunden, die ihnen niemand zahle. Er verzichte auf Gift, zahle dabei aber drauf.

Das gibt einem zu denken. Die Lebensmittel sind durch den Preiskrieg der Supermärkte viel zu billig für dieses wohlhabende Volk, die lokalen Produzenten können von ihren Erlösen nicht leben. Tomaten kommen schon aus China, der Milchpreis für die Bauern ist niedrig, wie soll das weitergehen? Mein Winzer sagte, alle wollten eine Ferienreise machen und das neueste Auto kaufen, sie sparen am Essen und wollen auf nichts verzichten. Sein Sohn macht eine Lehre und interessiert sich nicht für den Betrieb. Immer mehr kleine Winzer geben auf. Man muss viel investieren, um weitermachen zu können. Er, mein Winzer, muss jedes Jahr zur Bank und sich Geld holen in der Hoffnung, dass er auch 2020 über die Runden kommt. Und dabei macht er so guten Wein und ist ein so feiner Mensch!

Was ist da schiefgegangen? Warum hat man die einheimischen Produzenten nicht geschützt? Doch das hieße wieder, die Schuld bei der Politik zu suchen. Wir müssen uns an der eigenen Nase fassen. Ich nicht — ich bin ein bewusster Konsument. Think global, act local ist die lobenswerte Parole der Öko-Bewegung. Hilf deinem Nachbarn, indem du bei ihm kaufst! Schau, woher die Sachen kommen, die du kaufst! Nein. Der Bürger schaut nur auf seinen Geldbeutel. Dabei hätte er die Macht. Er könnte freiwillig etwas mehr ausgeben und damit dem nachbarlichen Winzer helfen. Zu wenige tun das. Lieber kaufen sie einen SUV, von denen im vergangenen Jahr eine Million zugelassen wurden. Die Leute haben kein Bewusstsein, und die Politik lässt die kleinen Produzenten auch im Regen stehen.

Lassen wir uns also die Lebensmittel mit dem Flugzeug einfliegen. Der Konsument hat in seine Entfremdung eingewilligt. Irgendwelche Konzerne irgendwo schieben sich das Geld ein. Meine Nachbarn kommen mit vollgepackten Taschen vom Supermarkt nebenan (vielleicht mit einer Flasche Rotwein aus Spanien drin) und gehen achtlos an meinem Winzer vorbei, der nicht weiß, wie er übers nächste Jahr kommt. So sieht es aus.

 

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