Camilla und Gaia
Vor einer Woche starben zwei 16-jährige Mädchen in Rom durch ein Auto. Sie wollten nach Mitternacht über die Straße, den Corso Francia, um ihre Klassenkameradinnen zu erreichen, und da kam der Wagen, gelenkt von einem 20-Jährigen, und traf sie voll. Die Mädchen Gaia und Camilla wurden in die Luft geschleudert. Jede Hilfe kam zu spät. Es war der erste Tag ihrer Schulferien. Und es war kurz vorm Heiligen Abend.
Der Vater eines der Mädchen sitzt seit einem Verkehrsunfall im Rollstuhl und musste seine Tochter identifizieren. Leider liefen die beiden bei Regen und weit entfernt vom Fußgängerüberweg über die Straße, stiegen über die Leitplanke und liefen los, über eine der gefährlichsten Straßen Roms. Die Autos hatten Grün, und der junge Fahrer fuhr mit seinem Renault Koleos 80 und gab an, er habe die beiden nicht gesehen. Leider hatte er 1,4 Promille Alkohol im Blut und noch etwas Kokain und anderes. Der Tod der beiden Mädchen ist nun Stadtgespräch in Rom, aber man wird sagen: Pech. Verkettung unglücklicher Umstände. Leben geht weiter. (Rechts: von La Repubblica, die Facebook-Fotos der beiden Opfer)
Der tägliche Irrsinn auf den Straßen. Das System frisst seine Kinder. In Mörderisches Rom hatte ich einige Todesfälle durch Autos dargestellt, weil mir das naheging, doch seit der Abfassung des Buches sind 15 Jahre vergangen. Jedes Jahr sterben über 600 Fußgänger auf den italienischen Straßen, macht 10.000 Opfer seit 2004: eine Kleinstadt. Nimmt man die Radfahrer hinzu, sind es 15.000. Man muss nur La Repubblica lesen und hat seinen täglichen Horror: Ein 16-jähriger Schwimmchampion verunglückt in Versilia tödlich mit seinem Scooter; eine 34-jährige Frau prallt mit ihrem Wagen bei Foggia an einen Baum und stirbt, zwei Tage nach dem Heiratsantrag ihres Freundes via Facebook.
Nicht nur sind diese Unglücke kaum zu verhindern — sie werden sogar immer mehr. Alle fahren gewohnheitsmäßig zu schnell, weil auch das Tempo der Gesellschaft hoch ist, und dann kommt noch die Ablenkung durch Smartphone hinzu, die vor 10 Jahren noch kaum eine Rolle spielte, nun aber Unfallursache Nummer eins darstellt. Man müsste eigentlich die Geschwindigkeit der Automobile in allen Städten auf 30 drosseln. Und das wird kaum durchsetzbar sein. Der tägliche Krieg auf den Straßen geht weiter. Als vor zehn Jahren eine junge Frau in Rom durch ein Taxi getötet wurde, riefen Radfahrer die Aktion #bastamortinstrada ins Leben, und Proteste und Eingaben und Reformversuche fanden statt, und es lohnt sich, einen Blog-Beitrag von Marco Pierfranceschi zu übersetzen, der bei jener Aktion federführend war. Sein Blog ist leider auf Italienisch, firmiert aber in der manipogo-Blogroll.
Marcos Beitrag vom 13. Dezember heißt Die Instandhaltung des Schlachthauses:
In meine persönliche Echokammer dringen oft die Echos der verkehrten Regelung des städtischen Verkehrs und der Infrastruktur. Vor einigen Tagen erschienen einige Artikel zur Gefährlichkeit der Straßen. Zunächst ein Artikel über den Tod eines 12-jährigen Radfahrers, in dem der Redakteur die Polizei dafür lobte, dass sie rasch den Unfallort geräumt habe, so dass Normalität einkehren konnte. Wie absurd, dieselbe Normalität hatte zum Tod des jungen Radfahrers geführt. Ein anderer Artikel erwähnte eine Reihe tödlicher Unfälle auf den Straßen, gefolgt von der rhetorischen Frage einiger Leser, warum man denn nichts tue?
Dann kam ein Post über Facebook, der die Neuasphaltierung der Via Cristoforo Colombo in Aussicht stellte, auf der regelmäßig Radfahrer sterben. Ein Funktionär schrieb, er sei glücklich, vermelden zu können, dass wieder die normale Geschwindigkeit gälte. Das Problem ist es, die Geschwindigkeit zu bremsen, was erst Sicherheit schenkt und nicht ein guter Belag. Als städtischer Radfahrer habe ich die Löcher und Schäden im Belag schätzen gelernt, da sie passive Temporegolatoren sind, vergleichbar den erhöhten Schwellen.
Ich beschränkte mich auf ein paar Kommentare: ›Die zugelassene Geschwindigkeit ist die, mit der sie uns umbringen. Danke, hey!‹ — ›Und dann sagt man, dass nichts für die Sicherheit auf den Straßen geschieht! Man sorgt für die Instandhaltung des Schlachthauses.‹
Es ist ein System, das große Teile der Ressourcen für eine unbefriedigende Instandhaltung verschlingt und das aus Bürokraten und Funktionären von gestern besteht. Ich vergaß zu erwähnen, dass der Funktionär, der die normale Geschwindigkeit hergestellt zu haben sich lobte, zur gegenwärtigen ›Regierung der Veränderung‹ in Rom zählt. … Wenn man das Wort Veränderung genauer untersucht und an der Oberfläche kratzt, könnte es durchaus sein, dass die wahre Bedeutung Aufrechterhaltung ist, also Konservation. … In der Zwischenzeit sorgt man dafür, dass das Schlachthaus effizient bleibt.
Illustrationen: Gedenken an eine junge Frau, die mit dem Wagen an einen Baum prallte, 2010; mein Blick aus der Wohnung auf die Viale dei Colli Portuensi in Rom, nachts, damals.