Der Korrespondent (3): Angstmache

Ein befreundeter Heilpraktiker aus Norddeutschland schreibt mir, die meisten seiner Patienten hätten einfach Angst: vor vielen Dingen. Eine weitere große Patientengruppe klage über Verdauungsprobleme, Ursache vermutlich Antibiotika oder zuviel Stress. Dazu das Ergebnis einer umfangreichen Befragung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland: 25 Prozent leiden unter Depressionen. Bedenklich.

00677rVon Ängsten spricht man ungern vor der Hausärztin, außer man hat körperliche Symptome zu bieten. Zur Psychologin geht man auch ungern, man ist ja nicht geisteskrank. Da hat sich in 100 Jahren wenig geändert, und auf anderen Kontinenten sieht es ähnlich aus. Psychische Probleme gesteht man ungern, das Stigma der Geisteskrankheit ist immer noch gefürchtet. Immerhin wird mehr darüber — über psychisches Leid — gesprochen und geschrieben, so dass allmählich mehr Akzeptanz auftritt. Sportler erzählen von ihren Depressionen, Manager von ihrem Burnout. Das hilft.

Man wendet sich mit solchen Problemen gern an den oder die Heilpraktiker/in, das ist unverfänglich, die haben Verständnis. Wie wichtig doch diese Berufsgruppe ist, die die Ärzteschaft am liebsten verbieten lassen möchte! Ein inoffizielles Angebot am Rande des hochseriösen Medizingeschäfts liegt da vor, das einen das Gesicht wahren lässt. Die Ängste der Bevölkerung muss man ernst nehmen. Wir leben inmitten von konkreten Dingen, aber auch in einem engen Netz unglaublich vieler Möglichkeiten, und die Komplexität feuert die Vorstellungskraft an. Alle projizieren sich in die Zukunft, und was könnte da nicht alles passieren (auch an Schlimmem)! Man liest von Ängsten und spürt sie schon selber, da der Mensch ein nachahmendes Wesen ist.

DSCN0519Smartphone spielt auch eine Rolle, man vergleicht sich mit anderen aus seiner sozialen Gruppe und hat das Gefühl, denen gehe es besser als einem selber. Alles ein Theaterspiel. (Schade, dass mein Buch Fomo, in dem es viel um Ängste geht, sich so schlecht verkauft.) Alle fühlen sich alleingelassen. Man könnte so viel tun, ist aber verwirrt und unentschlossen. Dann tut man was, aber die rechte Freude stellt sich nicht ein. Reisen und Konsumartikel versprechen mehr, als sie halten können. Die Rolle der Religion habe ich vielleicht überschätzt; man kann gut ohne deren Regeln leben, vielleicht besser als unter deren Joch, aber abgekoppelt von Natur und einem höchsten Wesen zu leben, eingesperrt ins Hier und Jetzt, kann auch klaustrophobisch wirken, und die Frage, was das Ganze soll, kann dann aufkommen und wird als Angst formuliert und wahrgenommen.

DSCN2779Carl Gustav Jung, der Schweizer Psychiater, hat einmal gesagt, die meisten seiner Patienten litten unter der Sinnlosigkeit. Eine Bedeutung für sein Leben zu finden, ist zentral. Wir sind hier, mit einer göttlichen Flamme ausgerüstet, sind Teil der Menschenfamilie und sollen die werden, die wir sind. Es geht eigentlich, denke ich mir, nur um den Weg der Seele durchs Leben, um ihre Weiterentwicklung und Veredelung. Wir können nie genug über uns nachdenken, nie genug Erfahrungen und Wissen ansammeln.

Angst ist die Verlagerung eines Problems in den Raum des Ungewissen hinein. Die Art der Angst verrät uns unser zentrales Problem. Ein Gespräch mit dem Heilpraktiker kann immerhin ein Türlein öffnen. Jemand muss uns einen neuen Weg aufzeigen oder eine neue Perspektive. Dann geht es weiter.

 

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