Freitagabend, Fernseh-Talk, seltsame Phänomene

Meine Schwester rief mich an: »Sie reden im Nachtcafé über Esoterik, und Lucadou ist dabei. Schalt doch ein!« Ich hatte monatelang nicht ferngesehen und musste erst diverse Kabel verbinden. Doch es gelang. Ich hatte also Südwestrundfunk und das Nachtcafé, sah ein paar Teilnehmer und hielt es auch eine Viertelstunde aus. Es ging um Esoterik und seltsame Phänomene.

Seit vielen Jahrzehnten, scheint mir, werden Freitagabend im Fernsehen Talkrunden abgehalten. Das Schema ist durchschaubar: ein packendes Thema, das, je mehr Zeit vergeht, sich in die Breite ausdehnt; ein staunender, diskreter Moderator; und eine Auswahl von Teilnehmern, die gewissen ehernen Regeln des Fernsehens gehorcht. Da gab es den abwägenden Fachmann, der Walter von Lucadou war, den scheinbar durchgeknallten Seelenschamanen mit langen Haaren, eine naive Zeugin, die etwas erlebt hatte und einen erfahrenen, selbstgerechten Fernsehmann (Hugo Egon Balder) und noch ein paar.

Am nächsten Tag fragten wir uns, ob es vielleicht nicht doch eine Wiederholung war? Es hätte auch eine Wiederholung von 1990 sein können, vor 30 Jahren, so vorausschaubar und geregelt war alles. Abgehoben von den Zeitläuften und durchtränkt von der Überzeugung, dass alles Unfug ist. Fernsehen ist sich immer gleich, the medium is the message. Alles wird besprochen, alles ist erklärbar und wird niedererklärt, und nach zwei Stunden ist das Thema ausgedünnt und wie zu Papier geworden. Alles ist bald relativiert und abgenickt, man ist sich einig, man ist nett zueinander, man findet Konsens und trennt sich.

Auch Walter von Lucadou tritt seit Jahrzehnten im Fernsehen auf und wird zu allem befragt, was paranormal ist. Doch man weiß nicht richtig, was er vertritt. Es ist schön, wenn er sagt, Wissenschaftler sollten die Erfahrungen von Menschen ernst nehmen und sie nicht lächerlich machen. Beifall. Er ist Physiker und Psychologe und wird von beiden Seiten ernst genommen, von Esoterikern und Wissenschaftlern. Weil er nicht richtig Stellung bezieht. Die Frage ist doch: Gibt es einen objektiven Kern in subjektiven Schilderungen? Ist da was dran? Das will man aber so genau nicht wissen. Lieber schwafelt und schwurbelt man so ein wenig herum. Es wird geredet, damit geredet worden ist, doch zu nah rangehen will man nicht.

Es gibt Tausende Nahtod-Erfahrungen und Hunderte Berichte von Astralreisenden, und daraus lässt sich etwas destillieren, was davon spricht, dass wir nach dem Tod in ein Mysterium eingehen. Oder dass wir jetzt schon in einer rätselhaften Welt leben — das immerhin brachte von Lucadou rüber —, ohne es zu wissen. Doch im Fernsehen wird alles veralltäglicht, und Balder, der zynische Fernsehmann, nur an sich glaubt, war der Vertreter dieser schrecklich toleranten, alles verschlingenden Fernsehwelt. Ich werde erst wieder im Juni einschalten, wenn die Fußball-Europameisterschaft läuft.

 

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