Soll ich ein Stuhl sein?
Frauen in der arabischen Welt. Das ist ja ein beliebtes Thema auf manipogo, und so heißt auch eine Sammlung von Erzählungen, bei dtv in München 1991 erschienen. Nur zwei Seiten lang ist der Beitrag von Laila Baalbaki, die, 1936 geboren, mit 22 Jahren ihr furioses Buch Ana Ahya (Ich lebe) schrieb, eine Kampfschrift der unterdrückten arabischen Frau. Die Erzählerin setzt sich also alleine in ein Restaurant, und als Gesellschaft hat sie zwei leere Stühle.
So mutig ist sonst keine junge arabische Frau, noch dazu in den 1960er Jahren!. Sie setzt sich also so, dass sie ihr Gesicht dem Inneren des Restaurants zukehrt.
In der Mitte stehen viele leere Tische. Die Gäste, Männer und Frauen, besetzen die Tische längs der Wände oder in den Ecken. … Ich bin ganz allein. … Warum sollte ich nicht zum Beispiel jenen einzelnen jungen Mann mir gegenüber dazu einladen, an meiner Mahlzeit teilzunehmen? … Er wird nach Hause gehen, wenn der Morgen an allen Ecken von Beirut lacht … Er kehrt heim. Aber niemand fragt ihn: »Wo warst du? Was hast du gemacht?« Mich aber, die ich um keinen Preis die Besinnung verlieren werde, mich werden vorwurfsvolle Augen befragen, wenn ich jetzt am Abend um acht Uhr nach Hause komme: »Wo warst du? Was hast du gemacht?«
Frauen sollen gut aussehen und nett sein und allen Zumutungen freundlich begegnen; sie sind wie potenzielle Jagdbeute, die den Prinzen vor die Flinte getrieben wird, aber alles unter strenger Kontrolle, und dann: ab in den Käfig. Laila wird wütend:
Diese Stühle machen sich über mich lustig. Sie lachen, ja sie auch. Sie wollen mich auf die gleiche Ebene mit sich bringen. Soll ich also ein Stuhl sein?
Die Erzählerin trägt die beiden Stühle an einen anderen leeren Tisch und kehrt an ihren Platz zurück. Auch eine Lösung. Mutig ist sie gewesen, denn man wird sie beobachtet und sich Gedanken über sie gemacht haben. Sie hat etwas Ungehöriges getan. Das war in Beirut um 1960. Man kann sich heute einmal bei uns in Deutschland umsehen: Gibt es Frauen, die sich alleine in ein Restaurant setzen? Ganz wenige.
Wie es heute aussieht, verrät uns im SZ-Jugendmagazin jetzt eine junge Frau, die sich im Fasching als Mann verkleidete, als Charlie Chaplin — und nicht angemacht, nicht betatscht, nicht begrabscht, angequatscht oder angeglotzt wurde. Man(n) ließ sie einfach in Frieden. Dann verkleidete sie sich als Minnie Maus, und sofort schwirrten alle um sie herum wie Motten ums Licht, die ihr jedoch unangenehm nahekamen. So ist das also 60 Jahre später, 2020, im Westen.
Ja, als Mann kannst du abseits stehen, und niemand behelligt dich. Du musst dich nicht wehren, musst nicht reagieren, machst nicht die Erfahrung, von andern als Sex-Objekt betrachtet zu werden. Das finde ich das Angenehmste am Mannsein.