Mondmädchen

Viele Mythen der Welt behandeln die Entstehung von Tag und Nacht, von Mensch und Tier. In dem Buch Märchen aus Mexiko (Bechtermünz-Verlag, 1998) verliebte ich mich in das Stück Vom Sonnengott und den Mondmädchen, auch wenn es wirkt wie von einem mexikanischen Macho geschrieben, da die Mondmädchen es nicht erwarten können, mit der Sonne ins Bett zu hüpfen. Es geht in dem Märchen um die Entstehung des Mondes. Weil gerade Vollmond ist.

Es fängt immer so schön an, mit diesem biblischen Ton, mit dem immer die lateinischen Evangelien beginnen: In illo tempore … In jener Zeit.

Zu der Zeit, als die ersten Menschen auf der Welt lebten und langsam begannen überall zu siedeln, hatte der Sonnengott zwölf Schwestern als Frauen. Sie lebten alle mit ihm im Himmel, bei Tage leuchteten sie, die Nächte aber waren damals ganz finster, und ohne jedes Licht. 

DSCN0556Hin und wieder holte sich der Sonnengott bei den Menschen Fleisch und fragte sie bei der Gelegenheit, was er für sie tun könne? Es sei immer so dunkel, meinten sie. Gib uns doch ein Licht für die Nacht! Oben wieder angekommen, rief der Gott seine Frauen zu sich und sagte: »Ich habe nun beschlossen, dass immer sechs von euch bei mir bleiben sollen und mit mir wachsein und mit mir schlafen. Und die sechs anderen sollen am Tage schlafen und in der Nacht über die Himmelswiese gehen.« In ein paar Jahren werde man die Besetzung ändern. So geschah es, und die Menschen waren froh, in der Nacht jagen zu können. Es war ja so hell — sechs Mondmädchen patrouillierten! Das ging einige Zeit gut.

Aber man muss wissen, dass die Mondmädchen sehr heißblütig waren, und die Zeit, da sie nicht mit dem Sonnengott schlafen konnten, machte sie noch hitziger. … Als nun die sechs Mondmädchen, die in der Nacht geleuchtet hatten, zum Sonnengott kamen, da wollte jede von ihnen zuerst auf sein Lager. Sie rissen sich und prügelten sich bis aufs Blut, und da der Sonnengott mitten unter ihnen war, wurde er auch gekratzt und geschlagen, bis er blutete. 

Das Blut des Sonnengottes wurde, auf die Erde getropft, zu Gold, das der Mondmädchen zu Silber. Endlich rief der Gott aus: »Es soll nur mehr eine in der Nacht leuchten und auch das nur mehr zwanzig Nächte hindurch. Die anderen aber sollen bei mir bleiben.«

thumbnailCAPBOC85Wenn nun das Mondmädchen, das seinen Dienst auf der Himmelswiese antritt, kommt, dann ist es so erschöpft, dass es ganz schmal ist und kaum leuchten kann. Aber nach einigen Tagen erholt es sich und wird ganz rund und prall wie eine schöne Frau. Es dauert aber nicht lange, da wird die Sehnsucht nach dem Sonnengott bei ihr so groß, dass sie wieder schmäler wird. Und endlich sehnt sie sich so nach ihrem Mann, dass sie vom Himmel verschwindet, wenn sie auch eigentlich in der Nacht noch ihren Dienst tun und leuchten sollte. Und da die Schwestern einander gern haben, verraten sie die Schwester nicht, die früher heimkommt, denn jede zählt daruf, dass die andern auch sie nicht verraten werden, wenn sie Dienst haben. 

So ist schön der Neumond erklärt. Im Spanischen ist die Sonne auch männlich wie im Italienischen (il sole), weshalb Franz von Assisi auch von Bruder Sonne spricht. Der Mond ist la luna, was irgendwie besser zum dunklen Planeten passt, der passiv ist, also nur leuchtet, weil die Sonne ihn anstrahlt. Sister Moon sang Sting, ich erinnere mich, und das stammt auch aus dem Sonnengesang von Franz von Assisi. Als ich das Märchen las, dachte ich sofort an das zauberhafte kleine Stück Moonchild von King Crimson, (diskutierbar, dieser Beitrag von youtube) und wer, der Rockmusik liebt, könnte je den gleichnamigen Song von dem unvergessenen Rory Gallagher vergessen?

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