Sechs Farben: weiß

Vor einem Monat hatte ich mit einem Sechsteiler über Farben angefangen, weil ich an Krzystof Kieślowskis grandiosen Dreiteiler aus den 1990-er Jahren gedacht hatte. Es gibt ja so viel zu berichten, darum erst jetzt die Farbe weiß. Ende November hatte ich das Blau behandelt, und demnächst: das Rot. (Foto: eine weiße Stadt in Apulien, Martinafranca)

 

Der polnische Film von 1994 über den Friseur Karol Karol soll der amüsanteste Film der Trilogie sein und von der Gleichheit handeln. Ausgerechnet der hat mich nicht interessiert; ich kenne nur Bruchstücke. Ich fand die weiblichen Hauptpersonen in Blau und Rot, Juliette Binoche und Irène Jacob, anziehender. Sicher tritt die »Farbe« weiß in dem Film prominent hervor. Dieter Wunderlich hat im Internet eine gute Rezension mit der detaillierten Handlung.   

Kirche in Mexiko mit auch Blau (Vergangenheit) und Rot (Zukunft). Foto: G. Braghetti

Ich trage gerne weiße T-Shirts (über ein Dutzend liegen in meinem Schrank), manchmal auch weiße Hosen dazu, aber immer seltener; das kann auch ganz schön affig wirken (und wird auch schnell schmutzig). Tom Wolfe, der US-Schriftsteller, der Fegefeuer der Eitelkeiten geschrieben hat, trug immer weiße Anzüge. Damit stilisierte er sich als Dandy.  

Aber eigentlich ist seit jeher Weiß die Farbe der Mystik, wogegen Schwarz für die Magie steht. Der Mystiker will sich auslöschen, in der Gottheit aufgehen; der Magier holt Energien herab und setzt sie für seine Zwecke ein, was für sich genommen nichts Schlechtes ist. Deshalb trägt er Schwarz, das das Licht schluckt und aufsaugt. Weiß strahlt ab, und Ärzte und das Krankenhauspersonal wollen unauffällig sein und sich ausblenden, denn sie sollen sich ja der Heilung widmen. Hat aber nicht ganz geklappt, uns so wurden die Ärzte auch »Götter in Weiß« genannt.

Wohnzimmer bei Zürich (das Sofa stand auch schon in Rom und St. Gallen)

In der schiitischen Kosmologie nach Scheich Mohammed Karîm Khân Kermânî (gestorben 1870) ist das Weiß der allerhöchsten Sphäre zugeordnet, der Welt der cherubinischen Intelligenzen mit den mächtigsten Engeln, als deren Chef Seraphiel fungiert. Bei den Tibetern − in deren Totenbuch − nimmt der Verstorbene nach vier Tagen der Bewusstlosigkeit plötzlich Farben und Licht wahr. Der Hintergrund ist blau, und vor ihm erscheint Vairocana, der beschrieben wird als der Buddha, »der kein Hinten und kein Vorne hat; er ist der totale Rundblick, alldurchdringend«. 

»Er ist von weißer Farbe, denn diese Wahrnehmung braucht keine andere Färbung, sie ist allein die Urfarbe Weiß. Vairocana hält ein Rad mit acht Speichen, welches die Transzendierung der Vorstellung von Richtung und Zeit darstellt.« Weiß heißt: keine Zeit, Klarheit, Reinheit, Überirdisches: Jungfrauen, Kinder, Nonnen, Heilige und Statuen. Oder Adelige, englische Kricket-Spieler, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei Heimspielen 2012. (Bild: Nonnen in Rom)  Der Scheich ‚Alî Zaynol-‚Abidîn erklärte, die weiße Farbe sei das »Licht der Lichter«; Rot, Grün und Blau sind die Lichter, von denen das Weiß das Licht ist. Es kann keine andere Farbe annehmen und keine färben. Die Farbe ist der Körper, das Licht der Geist; beide gehören zusammen.   

Natürlich sind Geister immer weiß, sie leben ja unbefleckt in höheren Sphären, und bei der berühmten Schachpartie von Viktor Kortschnoj 1984 gegen den 1951 verstorbenen ungarischen Großmeister von Maróczy durfte dieser eröffnen: Er war ja der Geist und hatte demnach Weiß. Schnee und Eis sind weiß und manchmal von einem solch blendendem Weiß, dass man schneeblind werden könnte. Es ist gefährlich, zu weit aufzusteigen und den Cherubinen zu nahe zu kommen. 

 

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