Die Abdankung

Am 19. Dezember nahm ich an der Bestattungsfeier meiner Tante Irma in Landsberg am Lech teil. »Abdankung« heißt das in der Schweiz oder Aussegnung, es war jedenfalls eine würdige Bestattung, der eine Messe in der Heilig-Kreuz-Kirche voranging, die 1754 von Jesuitenpater Merani erbaut wurde. Oberhalb des Altars ist die Schlacht an der Milvischen Brücke abgebildet, und überall Putten und Engel, Gold und Zierat, bayerischer Barock eben.

Ich war mit dem Zug aus Zürich gekommen. Hinter Memmingen lag viel Schnee, und sechs Kilometer vor Buchloe prangte an einem Hügel der Schriftzug Hollywood, in weißen Buchstaben, ebenso wackelig wie dort oben an den Bergen von Los Angeles, nur viel kleiner. Vor dem Bahnhof Buchloe fiel mir ein gewaltiges Kunstwerk auf, irgendwelche massiven Gestalten auf einem großen B, das auf dem Rücken lag. Steht wohl für Buchloe. Da liebt man also die Buchstaben.  

Ich trug einen olivgrünen Staubmantel und kam mir vor wie Charles Bronson, der in Spiel mir das Lied vom Tod in der einsamen Bahnstation aus dem Zug steigt. Landsberg am Lech Bahnhof, früher Abend. Meine Mutter erwartete mich. Am nächsten Tag dann die Versammlung schwarz gekleideter Menschen, der Zug in die kalte Kirche, die schöne Musik (das Ave Maria) und die Rede des Priesters. Da klingen dann Details aus einem Leben der unseren banal, aber es ist ja nicht banal, wenn sich zwei junge Menschen beim Tanz kennenlernen, sondern es ist der herbe Kontrast zu dieser unirdischen Religion mit ihren hochfahrenden Bauten, in denen die Worte nach oben schweben und Heilige, Engel und Märtyrer Wache halten.  

Seebestattung. Gemälde aus dem 19. Jahrhundert in einer Kirche in Heidelberg

Wie wird es sein?

Der Priester habe es ganz gut gemacht, war zu hören, und ich wollte nicht widersprechen. Mich interessierte natürlich, was er ankündigte vom Leben nach dieser Existenz: was unsere Irma zu erwarten habe. Und das klang gut, sie sei nun »Christus gleich geworden«, man solle überdies beten, dass sie mit den Märtyrern eingehen könne ins göttliche Reich. Ich weiß nicht, warum niemanden interessiert, was die katholische Kirche zum Jenseits sagt, ist es doch ein Reiseziel, das wir alle einmal auf dem Plan haben.   

Der Hades war Aufenthaltsort der Schatten bei den alten Griechen; Gasthausschild in Tübingen

Die Verblichene muss ins Fegefeuer, wenn sie arg gesündigt hat; wenn nicht, zieht sie ins Paradies ein, wie der Priester verhieß. Es heißt zwar immer »Ruhe sanft«, und das Bild der Ruhe sei immer mit dem Tod verbunden worden, schreibt Philippe Ariès in seiner Geschichte des Todes. Die christliche Doktrin spricht ja vom Auferstehung der Toten im Fleische nach dem Trompetenschall. Wenn sie nun gleich nach dem Tod ins Paradies eingehen, haben wir das Problem von zwei Gerichtstagen, vielleicht sogar eines zweiten Todes vor diesem Gericht. 

Zum Paradies rechts; das Wort kommt aus dem Persischen, Pairi Daiza. Schild in Belgien

Die Urne wurde feierlich an ihren Ort in der Urnenwand geleitet. Asche zu Asche. Aber wenn der Priester Irma vorher du ansprach und sagte, sie sei nun Christus gleich geworden, dann muss ja dieses du irgendwo sein, ungeachtete der Tatsache, dass ihr sterblicher Körper verbrannt wurde. Die Informationen müssen abgespeichert sein, und am besten ist das zu denken, wenn die Seele mit ihrem Ätherleib verschwunden wäre, einem feinstofflichen Duplikat des Körpers, wie es Spiritualisten und Theosophen glauben.  

Und das mit der Auferstehung im Fleische ist schwierig. Welchen Körper soll der Verstorbene denn haben? Darf er wählen, ob es der Körper mit 20, 30 oder 50 Jahren sein soll? Was man in spiritistischen Büchern lesen kann, ist, dass die Verstorbenen meist viel jünger aussehen, weil ihre Seele sich drüben jung fühlt und der Träger der Seele (ein ganz hauchdünner Körper) sich daran orientiert.  

Es gibt Leute, die der Parapsychologie und dem Okkultismus alles zutrauen. Jedoch waren die ersten Magier auch die ersten Naturwissenschaftler, und auch orientalische Theologen hielten auf Logik. Auch die Letzten Dinge sollten nachvollziehbar sein und nicht blanke Erfindungen. Die Seele jedenfalls ist unsterblich. Zunächst ist sie in ihren Astralkörper gekleidet, jedoch kann sie einen Aufstieg unternehmen, diesen Körper abwerfen und sich einen noch feineren überwerfen. Das passiert beim zweiten Tod. Der erste ist noch nicht der letzte, es wird mehrere Übergänge geben. Wenn man das einmal gehört hat, ist man schon gut gerüstet.  

Es wurde auch O Heiland, reiß die Himmel auf gesungen, ein Adventslied von Friedrich Spee (1591—1635), geschrieben 1622, also in der Mitte des Dreißigjährigen Krieges, als die Schweden in Landsberg etwas wüteten und das ganze Land geknechtet und gequält war: Die Erde schien ein Jammertal, es herrschte größte Not, und man rief’s empor:

O Heiland, reiß die Himmel auf,
Herab, herab, vom Himmel lauf!
Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
Reiß ab, wo Schloss und Riegel für!

O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß;
Im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
Den König über Jakobs Haus.

O Erd’, schlag aus, schlag aus, o Erd’,
Dass Berg und Tal grün alles werd’
O Erd’, herfür dies Blümlein bring,
O Heiland, aus der Erden spring.

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
Darauf sie all’ ihr’ Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
Komm tröst uns hier im Jammertal.

O klare Sonn’, du schöner Stern,
Dich wollten wir anschauen gern.
O Sonn’, geh auf, ohn’ deinen Schein
In Finsternis wir alle sein.

Hier leiden wir die größte Not,
Vor Augen steht der ewig’ Tod;
Ach komm, führ uns mit starker Hand
Vom Elend zu dem Vaterland.

Dieser Eintrag wurde am Freitag, den 28. Dezember 2012 um 00:59 Uhr erstellt und ist in der Kategorie Jenseits/Psi zu finden. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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