Jean Paul und die letzte Sonne
Aus der Vergangenheit der deutschen Literatur will manipogo noch einiges herüberretten, und ein Großer, dessen noch nicht Erwähnung gethan worden (um es altertümelnd zu sagen), ist Johann Paul Friedrich Richter, der unter dem Namen Jean Paul um 1800 eine Berühmtheit war. 1825 ist er, 62 Jahre alt, in Bayreuth gestorben. Wegen seines Stils — elend lange, verschlungene Sätze, sprunghafte Gedanken, Ausrufe, Schwärmereien — kann ihn heute kein Mensch mehr lesen, aber schad‘ is‘ schon.
Auch der Olympier Goethe und der klassisch-kontrollierte Schwärmer Schiller konnten nicht viel mit dem Originalgenie aus Oberfranken anfangen, aber die Frauen liebten seine Romane. Der Hesperus wurde 1795 ein Verkaufserfolg und machte Jean Paul berühmt. In meiner Bibliothek ist ein Reclam-Heftchen aus Leipzig von 1840, betitelt mit Ueber das Immergrün unserer Gefühle, und der Autor fing so das Stück Das Leben nach dem Tod an:
Das Leben ist ein Traum; der Tod ist ein Traum; aus den Träumen werden wir im Himmel wach. Vielleicht ist dann der heitre Mond (wie schon Herder und ägyptische Priester dachten) die erste feste Küste nach den Orkanen des Lebens; da brechen wir vielleicht die ersten Frühlingsblumen des anderen Lebens, bis wir selig weiter ziehen von Welt zu Welt, von Himmel zu Himmel.
O wenn dann die zurückfliehende Sonne hinter uns zu einem lichten Fünkchen einschmilzt, wie werden uns wehe thun unsre hiesigen Narrheiten, und unsre traurigen Freuden und unsre zügellosen Kümmernisse und unser unhimmlisches Leben!
In einem weiteren Stück lässte er den Jüngling Ernst einen Traum thun und seiner Phantasie freien Lauf, unser Jean Paul:
Endlich sind wie im Vorhofe der Ewigkeit, und sterben nur noch einmal, sagten die Seelen, und dann sind wir bei Gott. … Im ganzen Himmel waren Sonnen, die ein Menschenantlitz hatten, umhergelegt, sie sahen uns bloß mit einem Mondlicht an, eine nach der anderen ging in der Höhe unbegreiflich unter, aber an keinem Erdenrund, und wurde vorher ihre eigne Abendröthe. Jetzo sind nur noch tausend Mondsonnen lebendig, sagten wir, wenn die letzte im Zenith einsinkt, so geht Gott auf und tagt.
Dann passiert noch eine ganze Menge, bis es endlich wahr wird:
Da fing die letzte Sonne oben zu lächeln an, und schlug blaue Augen auf. — Der Engel mit rothen ausgebreiteten Feuerflügeln rauschte herunter, um mit ihnen die Welten-Aurora weg zu streifen, die um Gott hing … Und siehe, die letzte Sonne stand als Gott unten bei mir, die Welten waren verschwunden, und ich sah nichts weiter — und erwachte …
Der Jüngling ist aufgewacht. Das erinnert an viele Nahtoderlebnisse, und verblüffend erinnert es an den manipogo-Beitrag Die Gotteserfahrung. Jean Paul hat etwas gewusst, ohne es zu wissen.
Illustrationen: Der Mond über Saragossa; Lichter irgendwo, wo ich am 15. Dezember 2013 war; und das Titelbild von Athanasius Kirchers Arithmoligia, 1665