Erdinger Alkoholfrei
Vor zwei Wochen fuhr ich mal hinter einem Rennradler her, der ein Trikot mit der Aufschrift Erdinger Alkoholfrei trug. Niemals, dachte ich mir, niemals würde ich mir ein Hemd mit einem solchen Schriftzug über den edlen Körper streifen, denn aus Erding kam immer ein gutes, fast legendäres Weißbier, und Alkoholfreies ist kein Getränk, jedenfalls kein Bier. Tatsächlich schreiben sie das auch noch groß, das, was im Namen eine Negation hat, was gefärbtes Wasser ist, dem sein Geist entzogen wurde. Und dann dachte ich weiter.
Der Radler war abgezweigt, war auch zu schnell für mich. Sie trinken Alkoholfrei und rauchen ja auch nicht mehr, und es gibt immer ein paar Dumpfbacken, die davon schwärmen, wie toll das doch ist, eine Kneipe ohne Rauch. Ihre Autos sind aufgequollen, die Fahrer wirken klein in ihnen: wenig Gehirnmasse, die aber von zwei Tonnen durchs Land bewegt wird. Passive Sicherheit, sagen sie. Ein hervorragendes Gesundheitssystem, die Renten sicher, Corona haben wir auch umschifft, dann geht’s bald wieder in den Urlaub, zwei Wochen am Meer, lang schlafen, gut essen. Alle wollen hundert Jahre alt werden, aber wozu? Es gibt keine Überraschungen, Ödnis auf hohem Niveau, im Geländewagen zum Kaffeetrinken, am Abend dann den Krimi, Fernsehen von der Stange, vorhersehbar. Die Gedanken in den Medien sind konventionell, die Gespräche kreisen um den Alltag, es gibt immer was zu tun, aber nichts funkelt, nichts brennt, alles sauber, alles plastikpragmatischquadratisch, jedoch ohne Antwort auf die eine (mich bedrängende) Frage: Was soll das? Ist das schon Leben?
Sie fahren elektrisch betriebene Fahrräder, damit’s nicht zu anstrengend wird, haben alle denkbaren Küchengeräte, sind prüde wie im Viktorianischen Zeitalter, ja, sie leben irgendwie körperlos, und der reale Körper wird immer schwerer, weil das gute Essen halt die einzige Freude ist.
Ich rolle an dem Einfamilienhäusern mit ihren Rasen und der Terrasse vorbei, die exakt viereckig ist, und der Platz für die Autos ist perfekt mit Steinen belegt, die Häuser sind weiß und bunkerartig und schmucklos, drinnen große Räume, geschmackvoll und sparsam möbliert. Ein Ehepaar, zwei Kinder, zwei Autos. Bertolt Brecht schrieb in Nachdenkend über die Hölle (1940), die für ihn Los Angeles glich:
Auch in der Hölle
Gibt es, ich zweifle nicht, diese üppigen Gärten
Mit den Blumen, so groß wie Bäume, freilich verwelkend
Ohne Aufschub, wenn nicht gewässert mit sehr teurem Wasser
Und Obstmärkte
Mit ganzen Haufen von Früchten, die allerdings
Weder rechen noch schmecken. Und endose Züge von Autos
Leichter als ihr eigener Schatten, schneller als
Törichte Gedanken, schimmernde Fahrzeuge, in denen
Rosige Leute, von nirgendher kommend, nirgendhin fahren.
Und Häuser, für Glückliche gebaut, daher leerstehend
Auch wenn bewohnt.
Darum rief Günter Eich zehn Jahre später: Wacht auf.
Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit
der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!