Flugverkehr (104): Mondflug 1928

In Deutschland brach zwischen den beiden großen Kriegen des 20. Jahrhunderts eine Technik-Euphorie aus. Rennfahrer jagten durch die Lande, der Zeppelin befuhr die Lüfte, und man spekulierte über Raketenschiffe. 1927 zeigte die Kino-Wochenschau ein paar Modelle, und das muss Karl Valentin angeregt haben. Er schrieb ein Stück, das er als »technische Bühnenneuheit« bezeichnete. Es hieß Der Flug zum Mond im Raketenschiff. Die Uraufführung war am 23. August 1928 in der Kolosseumstraße in München.

Pilot 1 ist Karl Valentin, Pilot 2 seine bewährte Partnerin Liesl Karlstadt. Die beiden wollen zum Mond, und der erste Dialog ist schon typisch:

DSCN1799V. Horch nur grad, der Wind. Ausgerechnet weil wir starten wollen muss ein solchener Wind gehen.
K. Geh, du wirst dich doch vom Wind nicht abhalten lassen.
V. Müssen wir morgen fliegen?
K. Geh red kein Schmarrn, morgen kann auch ein Wind gehen.
V. Dann fliegen wir halt übermorgen.
K. Weisst du das so gewiss, dass übermorgen kein Wind geht?
V. Übermorgen geht selten ein Wind.
K. Jetzt mach und helfe mir einpacken, ich weiss nicht, du druckst immer so rum. Du tust grad, als ob wir bloss nach Grünwald nauf fliegen täten. Wir fliegen doch direkt ins Ungewisse.
V. Wohin?
K. Ins Ungewisse.
V. Die ganze Zeit hast gsagt wir fliegen zum Mond. Jetzt fliegt er auf einmal wo anders hin.

Mond_02Die beiden packen also ein. Valentin schaut verkehrt herum in ein Fernrohr und meint, sie wären in 10.000 Jahren noch nicht droben; dann dreht er das Fernrohr um und sagt: »Jetzt brauch ma nimmer nauffliegen, jetzt ist er so wie so schon da.« Sie ziehen Handschuhe an, eine Zigarette fällt in die Raketenkiste, aber nichts passiert. 9 Stück seien schon drin, sagt Valentin, fehlten nur noch 3. Karlstadt: »Damit kommst du höchstens nach Rosenheim.« Valentin: »Hast du eine Ahnung vom Mondflug. Über Rosenheim kommen wir gar nicht.« Zwei Fotografen der Presse kommen, der eine sagt Bewegen!, der andere Ruhig halten!  Der Münchner Oberbürgermeister lässt sich alles erklären und überreicht den beiden Piloten je einen Mondraketenflugzeugverdienstorden. Viele Menschen, eine Menschenmauer. Valentin lässt den Motor an.

Oberb. Halt! Halt! Sie können doch unmöglich in die Menschenmenge hineinfahren. Da sind 100 Personen tot.
V. Ach, übertreibens nur net. 10 oder 15 kanns ja derschlagen aber mehr net.

Ein Zeitungsmann meldet, eine totale Mondfinsternis sei angesagt. Valentin: »Mir fliegen doch.«

Nun der Schluss, aus dem Originalmanuskript:

(Mond finster, Raketen krachen. — Musik: Muss i denn zum Städtele hinaus.)
Vorhang zu.
(Flugzeug wird abgeschoben.)
Vorhang auf und alles auf der Bühne geht ab.
Schreien alle: Mondheil Auf Wiedersehen.
Vorhang zu. Raketenflugzeug (Trickfilm) fliegt von der Erde weg und nähert sich dem Mond, stößt an.

DSCN0345— Film. Absturz. —
Vorhang auf.
V. und K kriechen unter den Trümmern heraus. Halten die Glieder. K. nimmt Schinken.
Vorhang zu.
Vorhang auf.
Oberbürgermeister nimmt ihnen die Orden wieder.

Finis. (ENDE)

Sowas. An den Mond gestoßen. Kommt einem schon schräg vor. Ich wusste auch nicht, was ich davon halten sollte. (Die rätselhafte Illustration rechts: Aufnahme eines Zeppelin-Absturzes, gezeigt in einer Landsberger Ausstellung über Zeppeline im Februar 2014.)

Dann las ich zufällig die Erzählung Test von Stanisław Lem (1921-2006), dem bekannten polnischen Science-Fiction-Autor. Sein Held ist der Pilot Pirx, der für einen Mondflug ausersehen ist, obwohl nicht gerade ein Held, eher ein selbstironischer und sympathischer Mensch. Dessen Gegenbild ist der begabte Boerst, der alles kann und perfekt ist.Die Erzählung wurde 1968 geschrieben, 40 Jahre nach Valentin.

Der Flug geht gut. Sie kehren zurück. Der Schluss der 40 Seiten langen Geschichte:

Sie öffneten die Klappe des zweiten Projektils. Der Chef stand auf der Gangway, weißbekittelte Menschen unterhielten sich mit ihm. Aus dem Innern der Rakete drang ein schwaches Knacken.
Ein braunes, taumelndes Bündel Mensch stürzte heraus, der Kopf ohne Helm pendelte wie ein verschwimmender Fleck hin und her.
Die Beine unter ihm knickten ein.
Dieser Mensch dort, Boerst, war mit dem Mond zusammengestoßen. 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.