Zerschmelzend

»… an ihm zerschmelzend ohne Rest.« Nun muss es doch noch ein Fussenegger-Zitat sein, weil sie so toll Spaziergänge schildern kann und die süßen Folgen. Das Folgende ist freilich Männerphantasie, ich gebe es zu, doch da eine Frau sie schrieb, kann man sie zulassen. Der männliche Protagonist heißt Zeman, wobei wir an den Prager Zdenek Zeman denken, der in 35 Jahren (meist in Italien) 20 Mannschaften trainierte und 10 Mal entlassen wurde; 1997/98 und 2012/13 war er bei AS Roma tätig. Der Auszug ist aus dem Roman Das verschüttete Antlitz (1957).

123Sie waren jetzt auf einem stillen Gartenweg, keine Seele in ihrer Nähe, das jung knospende Gezweig rings um sie wie ein Zelt. Zeman nahm das junge Mädchen in seine Arme. Sie empfing seinen Mund, als hätte sie Jahre nach ihm gedürstet. Zeman blickte sich um nach einem Versteck.
Sie schlüpften unter einem Zaun hindurch, lichtgrün wie Seide glänzte die grasige Böschung zu ihren Füßen. Durch Büsche brachen sie, der Mann bog die Äste zur Seite, silberflimmernd von zarter Behaarung quollen junge Blätter aus bräunlichen Knospen. Auf vorjährigem Laub, das von Ranken der Veilchen durchsponnen war, fanden der Mann und das Mädchen ein Bett. Er bekam sie sofort. Er erschrank beinahe, wie behende sie war, sich unter ihn zu breiten.

001Später nahm er sie mit sich nach Barandow. Er vergaß alle Vorsicht, die er sonst walten ließ, seine Scheu vor Wostudas Nähe. Das Mädchen kam ihm süßer vor als alles, was er je im Leben gekostet hatte. Die Nacht neben ihr war wie von blau wallendem Licht erfüllt. So verbrennen bestimmte Stoffe mit beinahe unsichtbaren, aromatisch duftenden Flammensäumen. Das Mädchen gehörte ihm, war ihm gehorsam, an ihm zerschmelzend ohne Rest. Unersättlich gaben und empfingen sie einander, wechselweise, tyrannisch und demütig, grausam und zärtlich, keiner anderen Sprache bedürftig als der ihrer Küsse. Die Nacht verging, ohne dass der Mann erfuhr, wie sie hieß. Als er sie fragte, sagte sie es ihm nicht.
»Ich kann deinen Namen erfahren, wenn du wieder in die Vorlesung kommst«, sagte er. »Ich kann den Pedell schicken und dir dein Buch abverlangen lassen.«
Das Mädchen lachte. »Ich komme aber nicht mehr in die Vorlesungen. Wozu? Wenn ich Lust habe, dich wiederzusehen, komme ich hierher zu dir.«

Sie hat sich also nicht ganz hingegeben. Sie bleibt eine Fee, eine Märchenfigur, und wenn er, der Mann, ihren Namen partout herausfinden will, ist sie weg. Die Passage ist schön, ich war beim Duchblättern auf sie gestoßen und weiß nichts sonst von dem Roman. Ich will gar nicht wissen, wie es zu dem Spaziergang kam oder wie es weiterging, weil das diese Schönheit zerstört.

 

Aus: Gertrud Fussenegger, Zwei Romane (Die Pulvermühle; Das vesrchüttete Antlitz), Deutscher Bücherbund, 1968, S. 494

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