Die Helfer (3): unter der Erde
Ich hatte 1996 Phantome der Berge geschrieben und den kühnen Einfall gehabt, Phantome der Lüfte, des Meeres und der Unterwelt hinterherzuschicken, der Ordnung halber, doch dann wurde nichts daraus. Immerhin 62 Seiten kriegte ich für Phantome der Unterwelt zusammen und 80 für Geisterschiffe; aus diesen kann ich mich nun bedienen, denn Bücher liest heute kaum jemand mehr, und die Phantome-Serie klingt ja wie aus dem vorvorigen Jahrhundert. Heute also: Helfer im Bergwerk.
Beim Bergbau wird es undeutlich und verschwommen. Wir befinden uns ja im Dunkel und Halbdunkel, unter der Erde, und wenig dringt nach außen. Man muss zu Sagen greifen, die vielleicht Wiedergabe von tatsächlich Geschehenem sind. Über den Beruf des Bergmanns, der heute Vergangenheit ist, schrieb Gerhard Heilfurth, der 1967 das 1290 Seiten starke Buch Bergbau und Bergmann in der deutschsprachigen Sagenüberlieferung Mitteleuropas vorlegte:
Das Dunkel der Teufe, fern aller Geborgenheit, mit seiner Einsamkeit, mit seiner lastenden Stille und Schwere, auch wenn der Arbeitslärm sie unterbricht, mit all den undeutbaren Geräuschen ist, mehr oder minder bewußt erlebt, voller Bedrohungen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß große Teile der Bergmannssage vom movens der Angst getragen sind; in immer neuen Wendungen und doch in gewissen Traditionsschemata gibt die Sage diesem Erlebnis der Angst in der realen Begegnung des Menschen mit dem ‘Es’, mit den das Unheimliche repräsentierenden Mächten, Ausdruck.
Der Berggeist kündigt kommende Unglücke an: mit nicht von Menschen herrührenden Arbeitsgeräuschen, Klopfen und Getöse, geheimnisvollen Lichtzeichen oder Schlägen von unsichtbarer Hand, um die Bergleute von der Gefahrenstelle zu vertreiben. Das dreimalige Klopfen des Berggeistes zeige einen künftigen Todesfall an, schrieb schon Paracelsus im 16. Jahrhundert. 1911 sagte ein Erzähler: »Das Bergmandl ist also gewissermaßen der Schutzengel der Bergleute.« (Illustration: Statue aus Holz an der Ostsee. Vermutlich ein alter Kapitän) Weiter aus meinem Manuskript:
Wenn man zum Berggeist nett war, belohnte er den Guten. »In Roßleiten wurde ein Bergmandl gefangen und bat imständig um seine Freiheit. Als Preis stelle er zur Wahl, ob sich die Leute Eisen auf ewig oder Gold und Silber auf kurze Zeit wünschten. Die Leute zogen das Eisen vor. Seither wuchs es so stark, daß die Knappen, wenn sie am Feierabend die Schaufeln am Stollen anlehnten, sie nach dem Feiertag umgefallen antrafen, so sehr drückte das wachsende Erz auf die Stollenwände. – Ähnliches wird von Waidhofen an der Ybbs erzählt.«
»Venediger« hiessen die kleinen Menschen in den Wäldern auch oft. Sie sollen in Klausen, Gossensaß und Terlan (Südtirol) die Bergwerke gegründet haben. »Tat sich da ein Venediger im Walde weh – er rutschte aus und stürzte über einen steilen Abhang hinunter – und konnte nicht mehr weiter. Eine alte Frau mit ihrer Tochter trafen das Männlein, als sie Holz sammelten. Beide mühten sich nun mit ihm ab. Sie nahmen den Venediger in ihre Hütte, verbanden und pflegten ihn. Als er geheilt war, verschwand er spurlos. Nach einigen Tagen kam er mit einem Sack, der gefüllt war mit Erzen, und übergab ihn als Dank für die Mühe, die man sich um ihn machte. Er wies auch den Weg zu diesen Erzen. So entstand das Bergwerk von Klausen.«
Es verwundert nicht, dass auch Erscheinungen aus Bergwerken berichtet werden, die nicht zu erklären sind. Wenn in Bräunsdorf im Erzgebirge in die Grube eingefahren wurde, »gab’s immer ein Glockenzeichen, und wenn ein hoher Beamter einfuhr, gab’s ein besonderes Zeichen, das hieß ›große Fahrt‹. Da hören einmal die Bergleute das Zeichen für große Fahrt, und es kommen ein Dutzend feine Herren in altmodischen Anzügen. Sie gehen die Strecke ab und besichtigen alles, dann sind sie wieder ausgefahren. Wie Schichtwechsel ist, fragen die Häuer oben: ›Was waren denn das für feine Herren, die heute eingefahren sind?‹ Aber die Leute oben wissen nichts davon, es wäre niemand eingefahren. Sie haben’s gar nicht glauben wollen, aber alle Häuer hatten ja die Herren gesehen.«
In einem Buch von Nancy Roberts steht die Geschichte von John Jackson, einem hünenhaften Bergarbeiter, der bei einer Explosion starb. Seine Witwe Jessie heiratete Bill James, einen engen Freund ihres verstorbenen Mannes.
Sechs Monate nach der Heirat sah sie zum erstenmal den Geist von John Jackson. Er saß da, starrte vor sich hin und verschwand. Viele Wochen später bemerkte sie, wie der Geist ihr vor dem Haus winkte. Sie zog ihren Mantel über und folgte ihm. Sie war gerade dort angekommen, wo ihr zweiter Mann eben mit anderen in das Bergwerk einfahren wollte; der Geist war verschwunden, und sie zitterte so, dass ihr Mann sie zum Arzt brachte. Das rettete ihm das Leben, denn zehn der Männer wurden bei einem Bergsturz verschüttet. Bill und Jessie waren überzeugt, dass John Jackson ihm das Leben gerettet hatte. Von da an legten sie regelmässig Blumen auf sein Grab.
Als ich so mein Manuskript Phantome der Unterwelt überflog, fand ich, dass noch mehr drinsteckt: Scheintod, Bunker, Wachkoma und noch mehr Gruusiges, wie der Schweizer sagt. Da werde ich noch öfter hinabsteigen und Geschichten zutage fördern. Das Bergmandl wird mir als Sekretär helfen.