Oktober (2)
Ich suchte Oktober auf manipogo und fand in einem sieben Jahre alten Artikel die Behauptung, dass ich Max Frisch mit einer schönen Oktober-Passage zu oft zitiere. Wo denn? Im Geiste vielleicht, vor mir selber. Darum jetzt dm Auszug aus einem Roman des Schweizer Autors, der darin alles gibt, um der Natur und dem Leben gerecht zu werden, und das schließt passgenau an die sprachlichen Kleinodien der Fussenegger an.
J’adôre ce qui me brûle oder Die Schwierigen war Max Frischs zweiter Roman, 1944 entstanden, und 1957 hat er ihn überarbeitet — als der Stiller schon da war und Homo faber das Licht der Welt erblickte. 1957, in meinem Geburtsjahr also, war Frisch 46 Jahre alt und in Hochform. Er schwärmt den Herbst an, übertreibt auch ein wenig (nicht nur ein wenig), wird süßlich und pathetisch und prahlerisch, kitschig sogar (die »glühende Brunst der Vergängnis«, o wei!), doch das lassen wir ihm durchgehen: Er war Anfang 30, als er Die Schwierigen aufs Papier brachte.
Es war ein Tag, wie er ihn über alles liebte, Oktober, Körbe voll Laub, Nässe der Nebel! Lange schon sind sie draußen in den Reben, in den Hängen eines grauen Igels, Weiber mit roten Kopftüchern und violetten Händen … Morgen dampft aus dem See, meerweit. Glanz einer kommenden Sonne geistert in Lüften von Metall, ein huschendes Blinken über graue Wellen. (…)
Und plötzlich der Mittag, herbstlich leuchtet er mit dem Goldschopf seiner Hügel; wie Inseln tauchen sie aus sinkender Brandung der Nebel, die in sonnigen Zunder zerfallen, ein Duft vom Himmel ist über Zweigen und Giebeln, eine rauchende Bläue.
In den Wiesen stehen die Stelzen und Leitern hinauf ins Gebäum, und die Jahreszeit streicht wie eine unsichtbare Gebärde über die Hänge. Äpfel plumpsen, Wespen summen um die Süße der Vergärung. In Früchten, zu kurzer Reife verdichtet, fällt uns die sommerliche Sonne noch einmal zu, Süße erinnerter Tage!
Man sitzt in den Gärten; Sonne scheint uns durch alle Gespräche hindurch, und die Gärten werden weit wie ein jähes Erstaunen, eine blaue Geräumigkeit nistet sich ein in den Wipfeln der Bäume, und wieder lodert das Welken an den Hauswänden empor, klettert das Laub in glühender Brunst der Vergängnis. Dass Jahre vergehen und manches geschieht, wer sieht es! Alles ist eins, Räume voll Dasein, Nichts kehrt uns wieder, alles wiederholt sich. Unser Dasein steht über uns wie ein einziger Augenblick, und einmal zählt man auch die Herbste nicht mehr. Alles Gewesene lebt wie die Stille über den reifenden Hängen. (…)
Am Ufer verscherbeln die Wellen. Draußen schwebt ein Segler vor blauem Gewölk, ein Falter auf versponnenem Blinken, Tücher voll flimmernder Stille, voll Milde des Sommers über verlorenen Ufern aus Dunst. Für Augenblicke ist es, als stünde die Zeit, in Seligkeit benommen. Gott schaut sich selber zu. Und alle Welt hält den Atem an, bevor sie in Asche der Dämmerung fällt.
Unser Dasein ist kurz wie ein Tag.
Zuviel davon kann man nicht ertragen, aber schön ist es schon, auch dann die Wanderung es Einsamen durch die Stadt, und
draußen die Helle noch über dem abendlichen Perlmuttersee …