Viele Welten

In einigen Beiträgen wurden schon Paralleluniversen erwähnt, also die Viele-Welten-Theorie (oder Many Worlds Interpretation, MWI) auch, aber nur kurz, dass es unscharf wirkte — so unscharf wie ein Quantensystem, bevor es gemessen wird. Wenn wir das tun (wenn wir messen), bricht seine Wellenfunktion zusammen, und wir haben ein Ergebnis. Ist das so? Muss nicht sein. Die Kopenhagener Theorie nach Niels Bohr sagt das. Schauen wir genauer hin. 

DSCN5267Der »Kollaps der Wellenfunktion« ist in der Quantenmechanik ein üblicher Begriff. Die Wellenfunktion eines Quantensystems gibt es, sie wurde als ψ bennnt (psi), und Form nimmt sie an in der Schrödingergleichung — weil sie Ernst Schrödinger Ende 1925 in Arosa aus dem Hut zauberte. Er bekam 1933 den Nobelpreis dafür. Das flüchtige Elektron wird als stehende Welle betrachtet, und die Gleichung gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, es in einem bestimmten Umkreis anzutreffen. Also gut, man fotografiert es oder schaut es sich an, und man hat einen Wert. Da ist es also, das unscharfe Elektron!  Etwas ist klar, etwas ist passiert, und man sagt, die Wellenfunktion des Systems sei kollabiert. Doch das ist bloß so ein Ausdruck. Niemand weiß, ob das so ist.

099Wenn wir dem Elektron zwei Möglichkeiten eröffnen, sagen wir: Es kann durch Spalt A schlüpfen oder durch Spalt B, dann haben wir eine unklare Situation: eine Quanten-Superposition. Zwei Zustände sind überlagert und geisterhaft vorhanden. Wenn wir messen, finden wir das Elektron vielleicht hinter Spalt B: Kollaps der Wellenfunktion. Spalt A war aber auch möglich, es gab eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür.

Hugh Everett III. (1930-1982) schrieb 1957 seine Doktorarbeit in Physik. Er fragte sich: Warum müssen wir denn (wie John Stewart Bell) zwei Welten annehmen, eine klassische (den Messapparat) und die Quantenwelt? Wenn das Messgerät hinschaut, verheiratet es sich sozusagen mit dem System und ist von diesem nicht zu trennen. (Da denken wir an den Buddhismus: Du wirst das, was du betrachtest; der Wanderer ist der Weg.) Und er fragte sich: Warum muss die Wellenfunktion denn kollabieren? Verzichten wir doch darauf! Beide Möglichkeiten verwirklichen sich, und der Weg durch Spalt A ist genausogut vollzogen: in einem eigenen Universum.

Da Everett eine Wellenfunktion für das ganze Universum annahm, würde das bedeuten, dass alles, was sich ereignen könnte, sich tatsächlich ereignet, nur in einer eigenen Welt, von der es sehr dann viele geben muss: unendlich viele. Richard Feynman, der die Pfadintegralmethode fand, sagte: »Alles, was geschehen könnte, beeinflusst das, was tatsächlich geschieht.« Toynbee beschrieb Geschichte als das, was geschehe in Anbetracht der Tatsache, dass vieles andere geschehen hätte können. Und da sagt Everett, alles, was geschehen könnte, geschieht tatsächlich! Schrödinger selber soll 1952 gesagt haben, alle Lösungen seiner Gleichung geschähen wirklich und fänden statt. Es war der erste Hinweis auf die vielen Welten.

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Für jeden von uns verzweigt sich unsere Welt ungeheuer viele Male, jeden Tag, doch wir sitzen in der Welt, die wir uns entschieden haben und wissen von den anderen nichts. Jede Entscheidung schafft eine Welt, und die nicht realisierte Entscheidung spielt sich in ener anderen ab. Erstaunlicherweise konnte Everett nie wirklich widerlegt werden. Man fragte oft Physiker, was sie von der Viele-Welten-Interpretation hielten, und zwei Drittel hielten sie für stimmig.  Um 1970 wurde Everetts These von der Quanten-Dekohärenz gestützt, auch sie eine Annahme. Quantensysteme haben »Lecks«, treten in ihre Umwelt über, und immer wenn das passiert, teilt sich die Welt. Doch das muss man nicht wissen.

Da haben wir nun (wie gestern beschrieben) mehrere Universen mit anderen Energiezuständen, gestaffelt und hinüberreichend in andere Dimensionen (die Zeit als vierte Dimension ist nur eine Festlegung, die auch falsch sein könnte); wir haben auf unserer Ebene sich andauernd verzweigende Welten, die vielleicht auch wieder verblassen (Astralreisende haben von Besuchen anderer Welten berichtet, die ähnlich aussahen wie die ihren, aber in Details unterschiedlich waren); und dann haben wir (vielleicht) unsere zahlreichen Vorläufer: Teile unserer Persönlichkeit, die in anderen Zeiten einen Körper besaßen, und das können viele sein (Robert Monroe hat sie gesehen und meinte, sie einsammeln zu müssen, dann erst könne man aus-checken), und viele Beobachter bedeutet auch viele Welten.

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Trotzdem sitzen wir gemütlich hier und wissen von all dem nichts. Wie in der Physik kann man sagen: Es könnte so sein, eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt, und drüben erhält man auch kein Gesamtbild. Richard sagte ja: It’s a big puzzle. Hier wie dort sind wir Mitarbeiter an einem großen Werk, die aber (wie alle Firmenangestellte) nicht wissen, was in der Zentrale vor sich geht. Doch wenn die Neugierde groß genug ist, wird einem vielleicht einmal eine Reise in andere Filialen geschenkt.

 

Illustrationen: oben die Küste bei Santa Severa (Rom); Straßenschild auf Sizilien, bei Mazara del Valle; dann: Giovanna B. und ihre Schwester vor dem Flughafen Zürich; schließlich der Autor 2012 im Seebad Knokke.

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