Bella squadra

Im November, als das Wetter am Nachmittag frühlingshaft war, überholte mich auf einem Radweg eine »Frauschaft« von drei Mädchen auf Rennrädern, alle mit schwarzen Hosen und weißen Trikots, und zwei von ihnen trugen blonde Zöpfe. Fasziniert sah ich ihnen hinterher, vom Sattel meines Tourenrads aus; eine Weile gelang es mir jedoch, der bella Squadra (italienisch: schönes Team) zu folgen. Wie großartig, so eine dahinfliegende Gruppe auf Rennrädern zu sehen!

DSCN3712Ich konnte sie nicht fotografieren, die Mädels, und mir fehlt überhaupt eine Aufnahme von einer Vierer-»Seilschaft« auf der Straße. Vier ist die ideale Zahl; bei den Olympischen Spielen gilt die Mannschaftsverfolgung als Königsdisziplin. Vier Fahrer eines Teams absolvieren 4000 Meter auf der Bahn, und die Zeit des dritten Fahrers wird gewertet. Den Weltrekord hält seit Februar 2020 eine dänische Mannschaft mit 3:44,672 Minuten. Das wären 12 Kilometer in 10 Minuten, und könnten sie das Tempo in etwa halten, wären 100 Kilometer in 90 Minuten denkbar.

DSCN0055Der Tag, an dem ich so viele Kilometer fuhr wie nie zuvor (250), hatte um sieben Uhr morgens in Arbon begonnen. Es war im September 2007, Tausende Radfahrer wollten um den See, und an mir rollte eine Dreier-Mannschaft aus Berlin vorbei, und ich hängte mich kurz entschlossen an. Zwischendurch fragte ich sie, ob ihnen das recht sei; und ich durfte. So spulten wir die ersten 100 Kilometer in drei Stunden ab. Allein schafft man das nie. So konzentriert am Hinterrad des Vordermanns zu hängen und dahinzuzischen, versetzt einen in eine Euphorie.

Und, wie gesagt, vier Fahrerinnen und Fahrer mit identischen Trikots, die wie ein einziger Körper unterwegs sind zum Horizont, wobei man nur das Rauschen des Windes und das Klacken beim Schalten hört, das ist ein schöner Anblick. Man möchte mit dabeisein. Die Musik dazu: Ride Like the Wind, live gespielt von Christopher Cross 2009. Ein wenig dick ist er; sollte mehr radfahren als nur vom Wind zu singen.

Leider geht es in der Mediendiktatur immer nur um Stars und Helden. Seit 100 Jahren werden die Etappensieger gefeiert und die Gesamtsieger verehrt, und die Mannschaft gibt alles für den Kapitän. Doch es gibt Situationen, in denen klar wird, dass man gemeinsam stärker ist. Angenommen, fünf Fahrer haben sich bei einem Radrennen vom Hauptfeld abgesetzt und ein paar Minuten Vorsprung. Wenn die Teamchefs ihnen grünes Licht geben, dann wäre es dumm, nicht zusammenzuarbeiten und sich in der Führungsarbeit abzuwechseln. So können die Fünf das Hauptfeld vielleicht auf Distanz halten, und zwei Kilometer vor dem Ziel wird es spannend, die Fahrer beobachten sich gegenseitig, einer startet auch mal einen Angriff, um zu sehen, wie die anderen drauf sind, und ein guter Spurt entscheidet.

In Radsport furios hatte ich ein paar Sätze über Die Schule des Winds geschrieben, das müsst ihr noch lesen:

»Das Fahrrad ist die Schule des Winds.« Auf diese Weise belehrt uns Paul Fournel. Es gebe den objektiven und den relativen Wind. Für ersteren sei der »Mechaniker der Welt« zuständig, und er bewirke es so, dass der objektive Wind dem Fahrer meist ins Gesicht blase. Den relativen Wind erzeuge der Fahrer selbst: je schneller, desto mehr Wind.

030Gegen den objektiven Wind helfen laut Fournel nur Freundschaft und Solidarität. Man fährt Windschatten. Bei starkem Nordwind sei ein Kamerad mit breiten Schultern Gold wert. Hinter ihm ducke man sich und trete in die Pedale. So spare man 25 Prozent seiner Kraft, meint der Autor. Aber ganz nah dran müsse das eigene Vorderrad am Hinterrad des Vordermanns sein. Das Gesetz des Windes könne aber auch „schrecklich“ sein. Wer im Rennen durch Schaltprobleme oder eine Unsauberkeit aus dem gegen den Wind rauschenden Hauptfeld fällt, kommt nie mehr heran.

Wenn Fahrer in Kleingruppen unterwegs sind ― zu zweit oder zu viert ―, dann überholt nach einer angemessenen, nicht abgemessenen Strecke (vielleicht vier oder fünf Kilometer oder nach zehn Minuten) der hinten Fahrende die anderen (so er dazu in der Lage ist) und übernimmt die Führungsarbeit. Entscheidend ist immer, woher der Wind weht. Kommt er von schräg vorn, hilft in der Gruppe die Windstaffel, das versetzte Fahren, und kommt er von vorn, praktiziert man den bewährten »Belgischen Kreisel«, bei dem die Fahrer stetig rotieren.

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