Schöner Priester

IMG_20160221_083052Dies ist — ungeachtet des Titels — ein Fahrradbeitrag. Das Buch Schöner Priester von Goffredo Parise wurde 1954 zum ersten italienischen Bestseller nach dem Krieg. Der Erzähler ist der 12-jährige Sergio, ein armer Junge, der natürlich von einem Fahrrad träumt. Sein Großvater vermietet in Vicenza Räder, und er lebt in einem großen Mietshaus, dessen Parteien wir kennenlernen. Sergio übrigens kriegt sein Traum-Rad!

Der Autor Goffredo Parise wurde 1929 in Vicenza geboren und starb 1986 in Treviso. Die Handlung des Buches ist turbulent und zuweilen absurd, tragisch auch und traurig, und im Zentrum steht der schöne Priester Don Gastone, der von allen Jungfern angehimmelt und begehrt wird, und immer stärker wird der »Dunst aus Sünde und Sinnlichkeit«, der den noch jungen sportlchen Kleriker umweht. Er lässt sich von der Contessa küssen, und als Sergio davon Gastones größter Verehrerin erzählt, der Signorina Immacolata, verehrt diese dem Jungen ein Fahrrad. Sergios bester Freund Cena wird auch etwas davon haben. (Das erste Rad, das vergisst man nicht. Ich war 14 und schob mein Weihnachtsgeschenk ungeduldig tagelang den Flur entlang, hin und her, bis es zur ersten Ausfahrt kam. Torpedo-Dreigang! Tacho!)

IMG_20160221_083052Dann gingen wir wieder in den Hof hinunter und liefen zum Laden von Paolotto, um das Schaufenster genau zu mustern. Unsere Wahl fiel nach langen, handgreiflichen Erörterungen auf das rote Bianchi-Rad.
Wir hockten uns voller Begeisterung vor dem Fenster auf den Boden.
»Ciao, Binda«, sagte Cena und gab mir einen Rippenstoß.
»Ciao, Guerra.« Das waren die Helden des Pedals von damals.
»Sieh doch, aber sieh genau hin, sieh dir die Speichen an!«
»Und der Lenker!«
»Kommt’s dir nicht vor, als ob es Flügel hätte?«
»Und die Radnaben!!!«
»Und der Rahmen!!!«
So wurden wir Besitzer eines Fahrrads. Am nächsten Tage gingen wir es offiziell kaufen, und an dieser Zeremonie nahm eine Unzahl von Leuten teil. 
(…)
WP_20160715_13_39_47_ProAm nächsten Tag beschlossen wir, zwei Rennfahrer-Trikots zu kaufen … Ein Trikot des Legnano- und eines der Bianchi-Mannschaft. Sie waren etwas weit für uns, reichten uns bis an die Knie; damit sie nicht in die Kette gerieten, nähten wir den Saum an den Hosen fest.
In den weniger kalten Stunden des Nachmittags trainierten wir auf der Bahnhofsallee: dabei stellte sich heraus, dass keiner von uns beiden mit seinen Beinen vom Sattel aus die Pedale erreichte; wir lösten das Problem, indem wir das eine Bein durch den Rahmen steckten und von der Seite her den Lenker fassten, aber es gab Streit … So ersannen wir eine andre Methode: Jeder bekam ein Pedal für sich, der eine klammerte sich von rechts, der andere von links an das Fahrrad.

So fahren sie dahin. Jan Paulsen aus Norwegen besitzt ein gelbes Rad, das man in der Tat so zu zweit bewegt. Wir fuhren damit einmal zu einem Restaurant. Die ersten beiden Runden gestalteten sich wackelig, doch nach zehn Minuten waren wir ein Team. Oben im Bild hat Jan einen anderen Sozius.

Die Liebe Sergios zum Fahrrad ist groß.

Ich war überzeugt, dass das Fahrrad zu mir sprach, solche und andere Gespräche mit mir führte. Ich betrachtete es voller Anerkennung. Ich dankte ihm, ich wusste, dass es mich liebte, so wie ich es liebte, vielleicht war es für mich und Cena bestimmt, noch ehe es verkauft wurde, als wir ganze Tage damit verbrachten, es im Schaufenster zu bewundern.

Dann geschieht ein Unglück. Cena tötet bei einem Raubüberfall einen Polizisten und landet in einer Besserungsanstalt in Venedig. Das Rad wird kaum mehr benutzt; es fehlt dem armen Sergio sein Gegengewicht. Der schöne Priester ist in den Armen der schönen Prostituierten Fedora gelandet, aber anscheinend wird die Sünde bestraft: Don Gastone wird lungenkrank, während Cena bei einem Fluchtversuch so schwer verunglückt, dass wenig zu hoffen bleibt. Auf der letzten Seite wird das Rad zum Fluchtfahrzeug aus einem misslungenen Leben.

IMG_20160221_083052Cena … sah all dies, und in seinen Augen leuchtete mit einem Male ein blitzendes, funkelndes, neues Rennrad. Er sah und sah und bat auch um ein besseres Leben in dieser Welt und unter Menschen, die größer und glücklicher waren als er. Und gerade als er an all diesen Dingen auf dem neuen Fahrrad entlangfuhr, setzte dieses zum Flug an und Cena, Abschaum aus der Erziehungsanstalt, Einbrecher und Ausgestoßener mit zwölf Jahren, verließ auf ihm die Straßen dieser Erde. 

 

 

 

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