Manifest gegen das Pedelec

Vor kurzem war ich wieder bei Winnie in seinem Fahrradgeschäft in Müllheim, und wie immer geht es zwischen uns ironisch und spaßhaft um das Elektro-Rad, das schon nicht mehr wegzudenken ist. Ich gelte als Gegner, Winnie plädiert dafür und ringt mir immer das Bekenntnis ab, man könne nicht dagegen sein, so kämen mehr Leute zum Radfahren. Zum Radfahren? Ist das denn noch Radfahren? Ich radelte danach am Rhein entlang, ließ mir die Argumente durch den Kopf gehen und komme zu dem Schluss: Ich bin definitiv ein Gegner.

Pedelec (Pedal Electric Cycle) heißt das E-Bike, bei dem Strom aus einem Akku das Treten bis zu einem Tempo von 25 Kilometern in der Stunde unterstützt. Damit ist es noch ein Fahrrad. Wenn es mit Strom bis zu 45 schnell sein soll, muss man es versichern und zulassen. Die Akkus werden immer kleiner und leistungsfähiger. Man baut sie sogar schon in Rennräder und Mountain-Bikes ein. Wozu? Mit einem Rennrad will man sich ja verausgaben, darin liegt sein Sinn. Einen Motor hineinzubauen ist, als würde einer, der sich schon auszieht, um Sex mit seiner Freundin zu haben, auch noch eine Viagra-Tablette einwerfen. Warum sollte er das tun? Hinterher weiß er nicht mehr, was er war und was Viagra.    

Es ist ein großes Geschäft. Ich musste in einem Artikel der Industrie lesen, die »Magie« bestünde im Zusammenwirken von Treten und Motor. Es sei besser für die Gesundheit, man strenge sich nicht so sehr an, und welche Emotionen, wenn der Motor einen hochziehe auf den Berg! Ja, Emotionen und Leidenschaft, damit werben Fahrzeugverkäufer gern. Es sind aber aufgesetzte Emotionen, solche aus zweiter Hand, die einem ein Motor schenkt.  

Das hat der Fahrrad-Industrie einen gewaltigen Schub gegeben. Kaum ein Händler kann sich noch leisten, die Elektrofahrräder zu ignorieren. Aber diese Entwicklung hat fatale Folgen: Es hat Gift ins Radfahren geträufelt, weil Muskelkraft nun unaufhebbar mit der Motorenkraft vermischt ist und sogar ein „normaler“ Radfahrer verdächtig wirkt. Was immer die Produzenten sagen: Wer ein E-Bike benutzt, schlägt sich auf die Seite einer Gesellschaft, die möglichst bequem möglichst weit kommen will und dazu fremde Energie frisst.

Das erste Motorrad, 1887 (NSU-Museum Neckarsulm)

In das ganze Radfahren ist eine Unschärfe eingezogen. Unwillkürlich sucht man nun immer den Motor. (Ich ertappe mich schon dabei.) Man wird nie mehr naiv einen Radfahrer begrüßen können, als sei er ein Freund (einer, der kämpfen will, der das einfache Leben liebt, hilfsbereit ist … der Radfahrer ist gut!); er könnte ja ein Partisan sein, der sich von einem Motor unterstützen lässt.  

Ich denke an die Unschärferelation von Werner Heisenberg (1926). Nach 350 Jahren mit der klassischen Physik Newtons (dein Hauptwerk über die Mechanik ist von 1687) konnte man erfahren, was im Innern von Atomen geschieht. Die Elektronen bewegen sich auf festen Umlaufbahnen, aber es sind keine Objekte. Sie haben keine Masse, und wenn man ihre Geschwindigkeit weiß, kennt man ihre Position nicht – und umgekehrt. Im Quantenraum ist nichts berechenbar; es gibt nur Wahrscheinlichkeiten. Die Welt war nicht so fest gefügt, wie wir dachten.  

Nun ist womöglich die klassische Periode im Radfahren zu Ende. Die Reinheit ist dahin. Der Pragmatiker nickt; der Purist wird melancholisch.      

Die Grenze setzt mein Körper  

Wenn ich schnell von A nach B kommen möchte, ist Elektroantrieb toll. Aber der Radfahrer will ja nicht nur schnell von A nach B, er will seinen Körper spüren, und er verschmilzt mit seinem Rad, er gibt seine Kraft an dieses weiter und will auch leiden, will an die Grenze gehen. Das ist Radfahren. Ich könnte sagen: Die Grenze, die ich habe, ist mein Körper und meine Willenskraft. Ich muss selbst entscheiden, was ich schaffen kann. Was jenseits liegt, lasse ich eben sein. 

Tour de Suisse, 2012

Der Elektromotor dehnt meinen Radius aus, aber er kostet mich meine Autonomie. Ich verkaufe mich. Jemand sagt, er sei mit dem E-Bike von New York nach Los Angeles gefahren; so what? Die eigene Leistung geht unter, man delegiert sich an einen Motor. Dass er »nur unterstützt«, ändert nichts daran, dass er das Prinzip des Radfahrens aushöhlt.. Wer weit kommen will, kann ja gleich Motorrad, Auto oder Autobus fahren. Oder den Zug nehmen. Alle Argumente dafür sind gesuchte Verkaufsargumente.  

Es war sogar zu lesen, künftig würden normale Fahrräder zu Nischenprodukten werden. Wunderbar! Diese Entwicklung passt natürlich zu unserer Zeit. Wir haben schon alles, und nun will uns die Industrie auf Händen tragen. Was sie entwickelt hat, sind Dinge, die zu den Entfremdungsstrukturen der postmobilen Gesellschaft gehören. Alles kann man toll finden: Wikipedia, Navigatoren, Elektrofahrräder, SmartPhones. Sie erleichtern einem das Leben.   

So lässt man sich gedankenlos durchs Leben lotsen, kopiert sich seine Diplomarbeit zusammen, fährt mit dem E-Bike 200 Kilometer, sucht sich im Dorf via Internet heraus, wo der nächste Supermarkt ist. Wo ist da meine Leistung? Wer bin ich? Will ich nicht wissen, wo ich stehe, was ich kann, wo die Grenzen meines Körpers und meiner Psyche sind? Wir erleichtern uns unser Leben so sehr, dass wir es bald nicht mehr spüren. Klingt alles nach Nietzsche, soll es aber nicht. Klingt nach einem Reaktionär, soll es auch nicht. Alle dürfen sich E-Bikes kaufen und mich überholen, gut, so habe ich wenigstens meine Ruhe.    

 

 

 

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