Windy erzählt

Der Schwede Lars Gustafsson (1936-2016) war über 20 Jahre (1983-2006) Professor für Germanistik an der Universität Austin im US-Bundesstaat Texas. Gut zu wissen, dass die Texaner etwas für deutsche Literatur übrig haben! Dort entstand 1999 Gustafssons kleines Buch Windy erzählt, ebenso köstlich und humorvoll wie etwa Nachmittag eines Fliesenlegers und gut wie Wollsachen

Der Professor geht zu seiner Friseurin Windy und lässt sie erzählen, 130 Seiten lang. Es ist ein langer Monolog, der spritzig und witzig ist. Es geht um die absurde Welt, und da wird nichts ausgelassen. Sogar den Letzten Dingen wendet Windy sich zu, und da wird es geheimnisvoll:

DSCN3949Draußen in Wimberley gibt es eine Stelle, da ist im Bach ein tiefes Loch. Blue Hole heißt es. … Tief unten in Blue Hole gibt es eine Öffnung, eine schmale Öffnung an der tiefsten Stelle unter Wasser. Und an der Stelle ist ein Abgrund, es geht weiter und weiter hinab, bis man in die Unterwelt gelangt. Und in der Tiefe, weit unter Edwards Aquafer, taucht man in einem unterirdischen See wieder auf. 
Und da ist die Unterwelt. Das Reich der Toten. Wirklich. Da sind sie. Man kann mit ihnen sprechen. (…)
Es ist nur für die Auserwählten. Aber in dieser Gegend lebt ein wunderlicher, alter Mann, der behauptet, er wäre da unten gewesen. Er heißt Mr. Tamaroz. Ein alter Mexikaner. Er braut Kräutermedizin und ähnliches.

Gegen Ende des Buches wird es ganz und gar verwegen (oder: wie bei Homer und Vergil, es ist eine uralte Vorstellung). Windy erzählt:

0088_DUnd der alte Mann hat ein Ruderboot, ein großes, geräumiges Ruderboot aus schwärzlichem alten Eichenholz, und murrend und knurrend setzt er dich über. Durch all das Schwarzweiße. Und wenn man am anderen Ufer an Land geht, muss man eine Grube in den Boden scharren, der schwarz und hart ist wie Lava. Und dann schneidet man sich in den Finger und bietet der Grube einen Blutstropfen dar. Ein einziger Tropfen genügt, das weiß ich. Denn ich habe es getan. Nicht ein Mal, sondern viele Male.

Und dann hört man ein Geräusch wie von schwachem Wind in dürrem Schilf, und das sind die Toten, die sich alle um die Grube scharen. Da sind sie alle miteinander, Mama und Papa und der Stiefvater und der alte Professor van de Rouwers (der keinen Tag älter wirkt) und der Intelligenteste Mann und der Mörer mit Blut an den Händen, und sie sagen noch keinen Ton, aber sie sind da mit ihren bleichen, maskenhaften Gesichtern. Und alle wollen sie reden, aber sie können sich nicht einigen, wer zuerst sprechen soll. Es gibt so viele Tote, und alle haben sie etwas zu sagen.

 

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