Dinge am Himmel

Über Ufos schrieb gegen Ende seines Lebens Carl Gustav Jung (1875-1961), der von vielen verehrte Schweizer Seelenforscher und Therapeut, und er sah ein, dass er damit seinen »mühsam erkämpften Ruf der Wahrhaftigkeit, der Vertrauenswürdigkeit und der wissenschaftlichen Urteilsfähigkeit« aufs Spiel setzte. Aber Jung stand immer so weit über den Dingen, dass ihm nichts etwas anhaben konnte. 1959 erschien sein Buch.

Es hieß Ein moderner Mythus — von Dingen, die am Himmel gesehen werden. In den 1950-er Jahren gab es eine Vielzahl von Sichtungen, etwa im Herbst 1954 eine Welle in Frankreich. In den USA richtete die Air Force sogar eine Arbeitsgruppe ein, die sich Blue Book Project nannte und von 1952 bis 1959 operierte. Man sprach also über Ufos.

Der Gelehrte vermutete oben in Küsnacht am Zürichsee eine »Projektion: das Hinausverlegen psychischer Inhalte in ein Objekt«. Die Untertasse sei rund wie ein Mandala, das die seelische Ganzheit beschreibt wie auch das Sonnenrad und der Zauberkreis. Rund sei auch der Uterus, und die Zigarre sei das emtsprechende Symbol … Zigarrenförmige Flugobjekte wurden damals übrigens häufiger gesehen als Untertassen.

Überhaupt, »es verdient der Sexualaspekt des Ufophänomens unsere Aufmerksamkeit«. Der Traum vom Eindringen und empfangen Werden spiele da mit. Weiter vermerkt Carl Gustav Jung:

Bei der Lektüre der zahlreichen Berichte ist, wie ich gestehen muss, mir selber auch der Gedanken gekommen, daß das Verhalten der Ufos am ehesten an das gewisser Insekten erinnert.

Die Leere des Raums sei eine ideale Bedingung für psychische Phänomene. Die Zeugen werden vom Raumschiff mit Hitze bestrahlt: »Projektion einer nicht realisierten Emotion.« Verbrennungen deuteten auf ein »unauslöschliches« Erlebnis hin, dessen Spuren auch für andere sichtbar bleiben (wie vielleicht auch die Stigmatisation). Die Flugobjekte würden von »Auserwählten« gesehen, meinte Jung, die sich damit für ihre Minderwertigkeit und ihr sinnloses Leben entschädigen. Es gehe um die Begegnung mit dem seelisch übermächtig Anderen. Ein »Größeres trete in Erscheinung, nämlich das Selbst, ein Symbol, das den ganzen Menschen ausdrückt«. Gegenüber der »Vermassungswirkung aller kollektiven Maßnahmen« gebe es nur ein Ziel: die Betonung und Werterhöhung des Individuums.

Dies ist in den folgenden Jahrzehnten ja im Westen erreicht worden. Vielleicht gibt es deshalb weniger Ufo-Sichtungen, aber vielleicht hat das auch ganz andere Gründe. Das Selbst jedenfalls ist eine vage Größe, eine Kategorie der Psychologen, mit der man nicht viel anfangen kann. Ich habe Jung immer bewundert, aber dann gelingt es dem Meister durch seine Vogelperspektive, dass ein Phänomen im mythologischen Äther verdünnt und geradezu entwirklicht wird; dass es, auf die individuelle Ebene verschoben, als dubiose Wunscherfüllung endet.

Die hohe Zahl der Sichtungen erklärt es nicht. War es Ansteckung oder waren einfach viele Objekte unterwegs? Wir wissen es nicht. Immerhin hat Jung sich über die Ufos Gedanken gemacht, und das ist aller Ehren wert.

 

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