Liebe und Macht
Die kluge Schehrazâd hielt immer dann, wenn der Morgen graute, »in ihrer verstatteten Rede an«. (Die Übersetzung ist von 1839.) Die Geschichte brach ab: Fortsetzung folgt. Oder sie sagte: »Das aber ist nicht wunderbarer als die Geschichte des Fischers.« Und der König biss an und fragte: »Wie geht die denn?« Der König wollte etwas von seiner Sklavin, die plötzlich Macht über ihn hatte.
Die Auflösung der allerersten Geschichte: Der Scheich brachte es einfach nicht übers Herz, das Kalb zu schlachten, da mochte ihm seine Frau noch so sehr drohen. Die Tochter eines Hirten verwandelte aladann das Kalb in den Sohn zurück und die böse Frau in eine Gazelle, ließ sich vom Sohn heiraten, und als sie eines Tages gestorben war, ging der Scheich mit der Gazelle auf Reisen.
Mit ihrer Geschichte verzauberte Schehrazâd den Herrscher und ließ ihn zappeln. Doch größer noch als die Macht der Erzählkunst ist die Macht der Liebe. In der Zeit der Erzählungen von den Tausendundein Nächten, also in den Jahren zwischen 700 und 1000 —wir nennen sie bei uns das Frühmittelalter — ist es vorgelommen, dass ein Kalif sich in eine Sklavin verguckte und sie heiratete, wodurch diese plötzlich Einfluss auf die Regierungsgeschäfte bekam.
Fatema Mernissi in ihrem Buch Die Sultanin:
Die Sklavinnen nutzten die Macht der Gefühle und setzten die Mittel der Sinnlichkeit und der Sexualität ein — sie machten ihren Herren keine Kriegserklärungen, sondern Liebeserklärungen! Und bringt uns nicht gerade die Liebe dazu, die Waffen zu strecken, alle Vorsicht fahren zu lassen und uns nicht mehr um Schranken und Regeln zu scheren?
Kalif Jazid II. war ein friedfertiger Herrscher, der lieber verhandelte und verzieh, als zuzuschlagen. Er verliebte er sich unsterblich in seine Sklavin Hababa. Ein Chronist schilderte:
Eines Tages, als Hababa bei Hofe sang, geriet Jazid in solche Verzückung, dass er ausrief: »Ich möchte auf und davon!« Hababa erwiderte: »Herrscher der Gläubigen, wer soll für uns sorgen, wenn du uns im Stich lässt?«
Seine Geliebte hätte er vermutlich mitgenommen. Als diese überraschend starb, weil sie sich an einem Granatapfelkern verschluckt hatte, war Jazid untröstlich und wandte sich von der Welt ab. Wenige Wochen später starb auch er. — Adud ad-daula (Regierungszeit 949-982) war ein strenger Militärtribun, der als starker Kriegsherr galt. Als er sich mit seiner Liebslingssklavin einige Tage zurückzog, bereute er das, denn er hatte die Staatsgeschäfte vernachlässigt. Deshalb befahl er dem Scharfrichter, seine Geliebte zu ertränken — eine extrem sado-masochistische, idiotische Handlungsweise, die er mit Pflichttreue bemäntelte.
Chaizuran war eine Araberin aus dem Jemen, die als Sklavin nach Bagdad kam. Von einem Sklavenmarkt zum anderen wurde sie verkauft, bis sie schließlich im Palast des Kalifen Al-Mansur landete, der mit ihr sprach und sie gleich seinem Sohn al-Mahdi als mögliche Frau schickte. Chaizuran, was Bambus bedeutet, schaffte es, durch Klugheit während der Regierungszeit ihres Gatten al-Mahdi (775-785) und derjenigen ihrer Söhne al-Hadi und Harun ar-Raschid gleichberechtigt das Reich zu regieren und Truppen zu befehligen.
Schaghab war eine Sklavin, die einen Sohn vom Kalifen hatte und nach dessen Tod selber die Herrschaft übernahm, weil ihr Sohn erst 13 Jahre alt war. Einen geistlichen Würdenträger, der sich querstellte, ließ sie einfach umbringen. Bald ernannte sie eine Justizministerin, die gegen die Korruption vorging, was im Volk auf Begeisterung stieß.
Der andalusische Kalif al-Hakam al-Mustansir, der von 961 bis 976 regierte, führte viele Kämpfe gegen die Christen, und irgendwo geriet eine Frau namens Subh (oder Sabah: eine Französin, die eigentlich Aurora hieß) in Gefangenschaft, der es später gelang, das Herz des Kalifen zu gewinnen. Da er ohnehin lieber Bücher las und sich den Wissenschaften widmete, überließ er das Tagesgeschäft seiner Frau. Diese war nach des Kalifen Tod 976 als Mutter des nächsten immer noch mächtig, doch viel Einfluss gewährte sie dem fähigen Sekretär Ibn Amir, der sie schließlich entmachtete. Doch das war erst 20 Jahre später, man kann nicht immer obenauf bleiben, und Subh hatte ihren Triumph gehabt.