Haremsdamen
Die Welt des Harems erklärt uns Fatema Mernissi (1940-2015) in ihrem Buch Die Sultanin. Sie blickt weit zurück, in die erwähnten Jahre von 700 bis 1000. Damals befand sich die islamische Welt in voller Blüte und lebte geistig verfeinert, zumindest der Hochadel. In den Tausendundein Nächten kommen aber auch normale Menschen vor.
Frau Mernissi:
Damals waren die Harems der Inbegriff des Luxus, Orte, an denen die schönsten Frauen der Welt in der Kunst wetteiferten, Kalifen und Wesire zu verführen und sich in den verschiedensten Formen der Kultiviertheit und Gelehrsamkeit zu übertrumpfen suchten. Denn um solche Männer zu gewinnen, war ein reizender Augenaufschlag nicht genug. Wer ihnen gefallen wollte, musste in den Disziplinen glänzen, denen ihr Interesse galt: in Astrologie und Mathematik, in Theologie und Geschichte oder im Gesang und in der Dichtkunst. … Aber die ğawaryi (dschawari ausgesprochen) strebten auch nach vollkommener Beherrschung der Liebeskunst; und in der Kultivierung von Sinnlichkeit und Sexualität versuchte eine jede, die besonderen Geheimnisse ihres Heimatlandes ins Spiel zu bringen.
Das erinnert an die Ausbildung der japanischen Geisha, die auch eine perfekte Entertainerin sein musste, gebildet und einfühlsam, und nicht nur ein folgsames escort girl. Freilich gehört dies alles zum Kapitel Unterdrückung der Frau, doch dass Liebe und Sexualität eine Ehe mit dem Geist auf hohem Niveau einging, ist einfach märchenhaft. Die Frauen jedenfalls waren ihren Familien entrissen und aus ihrem Heimatland verschleppt worden, um vom Sultan eingepfercht zu werden, damit er sich ihrer, der Sklavinnen, bedienen konnte.
Ein großer Teil der Bevölkerung in den eroberten Landstrichen wurde in die Sklaverei überführt, und man brachte immer neue ğawaryi in die Paläste. Frauen aus fernen Gegenden und fremden Kulturen: Perserinnen, Kurdinnen und armenierinnen, aber auch Sudanesinnen, Äthipierinnen und Berberinnen. Harun ar-Raschid hatte tausend Sklavinnen, der Abbaside al-Mutawakkil (847-861) soll viertausend besessen haben.
Ein Dorf der Sklavinnen gab es also, alle im Wartestand, ob der Abbaside sie auswählen würde. Aber nehmen wir einmal an, dass sie gut verpflegt und gut behandelt wurden, und sie werden schon untereinander viel Spaß gehabt haben. Es heißt ja, Eunuchen hätten die Oberaufsicht gehabt. Männern traute man anscheinend nicht genug Standhaftigkeit zu. Dass jemand freiwillig Eunuch wurde, kann man sich nicht vorstellen; es waren grausame Zeiten damals.
Frau Mernisse schildert des weiteren:
Der Begriff »Harem« geht zurück auf die Bezeichnung für den heiligen Bezirk um das Heiligtum in Mekka, dort galten schon in vorislamischer Zeit besondere Rechte und Verbote, die der Islam, mit einigen Änderungen, übernommen hat. So ist zum Beispiel in der Zeit der Pilgerschaft Jagd und Krieg verboten, weder Tiere noch Menschen dürfen getötet werden. Im Zusammenhang mit den vorislamischen Bräuchen der Pilger galten als haram die Kleider, die während der Prozession abgelegt wurden. Männer und Frauen unterzogen sich dem Ritual unbekleidet. Da die Kleider als Symbol für die Sünden begriffen wurden, derer man sich entledigt hatte, durften sie nicht mehr berührt werden.
Demnach heißt haram heilig genauso wie verboten, tabu. In jener Zeit wurden Mädchen in Nonnenklöster gesteckt, wodurch wie im Islam ein eigener Raum entstand: Draußen herrscht der Mann, herrschen Jagd und Krieg; drinnen entsteht Leen oder wird dem Geist gefrönt. Da lebt die Frau, heilig und unbehelligt.