Letzter Blick ins Heptameron

Nachdem ich in Heptameron fast 400 Seiten mit Liebesgetändel, Listen und Tricks und Bettgeschichten hinter mir hatte, beschloss ich, dass drei Tage auch genügen, der Rest bis zum siebten Tag wäre Wiederholung. Außerdem stießen mich zwei Passagen richtig ab: die Meinung der Adeligen über die »einfachen Leute« und eine krasse Inzestgeschichte. Zur Erinnerung: Das Buch erschien 1558.

2021-01-28-0004Wir erfahren ja vieles über wohlerzogene Edelleute und Könige und Herzöge und deren Verwandte, alles spielt in höhren Gefilden der Gesellschaft, in Schlössern und auf Landsitzen, abgestrennt von den Niederungen der sumpfigen Dörfer und dreckigen Städte. Als von einem Pfarrer erzählt wird, der die Frau eines Bauern beehrt, weist Geburon auf die »Diebe, Mörder, Hexenmeister, Falschmünzer und dergleichen Gesindel« hin, die alle arme Leuite und Handwerker seien.

Parlamente, als die sich Margarete von Navarra verkleidet, sagt etwas dazu:

Ich finde es nicht sonderbar, dass sie tückischer sind als andere. Mich nimmt aber wunder, dass sie bei aller Plackerei auch noch von der Liebe gequält werden und dass sich in einem niedrig geborenen Herzen eine so edle Leidenschaft einnisten kann. 

Die 29 Geschichten bis dahin zeigen die Liebe durchaus nicht als edle Leidenschaft. Die Handelnden leiden zwar oft unter ihr, die jedoch, denkt man sich, manchmal pflichtschuldig ausgeübt wird, als Kovention, um sich problemlos einem anderen Objekt zuzuwenden. Außerdem spielt in den Liebesdingen viel Verstand mit: Da wird, was Parlamente den einfachen Leuten vorwirft, mit Tücke und Ränke gearbeitet und mit allen Mitteln der Diplomatie. Viel Kalkül ist beteiligt, wir stehen am Beginn der Epoche des Rationalismus. Die Liebe wird zur privaten Politik.

Dann erklärt uns Saffredent mit der üblichen Herablassung der Adeligen die Lebensweise der einfachen Leute:

Denn wenngleich die armen Leute Güter und Ehren nicht besitzen, so stehen ihnen dafür die Bequemlichkeiten der Natur zur Verfügung, soviel sie mögen und wollen, in weit größerem Maße jedenfalls als uns. Ihre Kost ist nicht so lecker, aber sie haben größeren Appetit und nähren sich von grobem Schwarzbrot besser als wir von unsern Leckerbissen. Sie haben keine so molligen Betten, wie es die unseren sind, dafür haben sie einen gesünderen Schlaf, und ihre Ruhe schlägt ihnen besser an. Sie haben keine schön angemalten und aufgeputzten Frauen, die wir abgöttisch lieben, aber sie genießen ihre Freuden öfter als wir und ohne Furcht der üblen Nachrede, es sei denn, die Tiere und Vögel, die ihnen zusehen, brächten es aus. Was wir haben, das mangelt ihnen, und was wir nicht haeb, das besitzen sie im Überfluss.

2021-01-28-0003Saffredent weiß anscheinend nichts vom Dorfleben, in dem üble Nachrede blüht wie sonst nirgends. Das Schloss ist ja nichts anderes als ein kleines Dorf. Nach diesem gönnerhaften Monolog lässt er noch eine Geschichte vom Stapel, die dreißigste, die wirklich abstoßend ist. Ein 15-jähriger Edelmann stellt der Zofe nach, und die ehrenhafte Mutter legt sich an deren Stelle ins Bett, wonach der Sohn Verkehr mit ihr hat. Die Mutter schickt ihn in die Fremde, bekommt eine Tochter, die als Pflegetochter der Königin von Navarra überstellt wird. Dort sieht der  zurückgekehrte junge Mann die reizende 13-Jährige, verliebt sich in sie und heiratet sie.

Die beiden liebten sich mit solcher Leidenschaft, dass niemals Mann und Frau größere Liebe zueinander hatten, noch sahen sich die Eheleute so ähnlich, denn sie war ja seine Tochter, seine Schwester und seine Gattin, und er war ihr Vater, Bruder und Gatte.

Da Margerete ja die Königin von Navarra war, ist zu befürchten, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht.

 

Illustrationen: von Dunker und Freudenberg aus der Ausgabe aus der Ausgabe Bern 1780/81

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.