Wohnen heute

Mtischerlichs Buch stammt von 1977, die Reihenhaussiedlungen gibt es auch heute noch, aber wie wohnen die Deutschen? Wie sind sie eingerichtet? Genau weiß ich das auch nicht, man kann nur darüber nachdenken, und das tue ich jetzt.

Aus dem Fernsehen erfährt man manchmal, wie Zeitgenossen wohnen. Wie erwähnt bekomme ich ja nur Bruchstücke von Filmen mit, aber den letzten Tatort aus Dresden Anfang Februar habe ich mir tatsächlich angesehen. Da wird einem zurückgespiegelt, wie Deutsche heute leben, denn die Kommissarinnen besuchen ja verdächtige Familien und Personen.

Junge Leute kleben auch heute noch Poster von Stars an die Wände, und arme Leute stellen an Möbeln auf, was sie haben. Um zu wissen, wie man sich heute einrichtet, muss man vermutlich nur einen Ikea-Katalog durchblättern. Zu Ikea gehen alle, die Schweden bieten anspruchslose, billige, halbwegs ansprechende Objekte. Zu viel soll es nicht kosten, und zu viel Aufwand soll auch nicht sein.

Dann gibt es noch die Upper middle class im eigenen Heim, die ist natürlich am interessantesten. Beim Dresden-Tatort lebte der Hauptverdächtige im üblichen weißen Kubus, der auch innen weiß eingerichtet war, und ziemlich kahl wirkte die Küche. Man hat’s mit dem Spartanischen: bloß nicht zu viel. Es gibt keinen Nippes mehr, dafür viel Raum. Man sieht diese großen Räume, wenn man an einem neuen Reihenhaus mit großen Fenstern vorbeifährt. Kürzlich saßen da ein paar Leute mit Getränken an einem spartanischen Tisch, und das sah entsetzlich ungemütlich aus.

Das deutsche Gemüt ist irgendwie auf der Strecke geblieben; die Gemütlichkeit fehlt. Man kann sich nirgends mehr hinfläzen; man setzt sich hin, aufrecht, und schaut die Wände an, die oft ein abstraktes Bild ziert. Die Leere ringsum spiegelt die weltanschauliche Leere in den Köpfen wider. Man ist anwesend, man bevölkert den Raum, aber man belebt ihn nicht richtig. Alles in dieser Welt ist ja so durchorganisiert, dass man manchmal meint, man habe in ihr nichts mehr zu suchen; alles läuft eigentlich auch ohne unser Hiersein. Das wahre Leben findet am Monitor statt: Smartphone, Computer, Fernsehen.

Der handgreifliche dreidimensionale Rest ist anonym wie eine Transithalle im Flughafen. Oft unterhalten sich in Fernsehen auch eine Polizistin und ein Polizist vor leeren Wänden, und das hält man für normal. Die weiße Wand, die ich anstarre bei meiner Ärztin, während sie mir eine Bescheinigung ausstellt. Es ist still. Totenstill. Alles weiß. Da ist einem die Kehle zugeschnürt. Man hält den Atem an, bis man wieder draußen ist.

Wohnen ist Transit geworden. Diese großen Wohnungen sah man ja zur Genüge in den Derrick-Filmen. Da standen sie also, die Reichen, und gaben in Anwesenheit von Stefan Derrick floskelhafte, unbeholfene Sätze von sich, als führe eine riesige Wohnung zum Verstummen und Verdummen.

Auch der gepflegte Rasen ist oft leer, und stehen darauf einige Spielgeräte, dann stehen sie scheinbar so gezielt, als handle es sich um eine Installation. Vielleicht wird hier das Leben nur simuliert; vielleicht weiß man gar nicht, wie man lebt? (Aber wer weiß das schon.) Baudrillard sprach davon, dass das Leben heute ein Simulakrum ist, das nur noch von fern an eine sprudelnde Quelle erinnert. Im Tatort war das Ehepaar drinnen, und draußen stand die Rettungssanitäterin, standen die Polizistinnen. Drinnen ist die sterile, die keimfreie Welt, in der man in der Quarantäne sitzt, aber fühlt man sich in diesem Land nicht überall wie in Quarantäne?

Die Sätze, die einem von flüchtigen Bekannten gesagt werden, klingen schablonenhaft wie aus dem Fernsehen oder so durchklügelt, als hande es sich um ein Kommunique für die Presse. Alle sind vorsichtig, alle haben ihr Visier auf, und das war schon so, bevor uns die Maske verordnet wurde. Alle Fremden, die hierher kommen, beklagen die Reserviertheit der Deutschen. Pragmatisch sind sie, freundlich auch, aber unpersönlich. Man kommt ihnen nicht richtig nahe. Ihre Einrichtung ist manchmal auch distanziert von allem.

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