Sir Lance und der Heilige Gral

Heute ist Einsendeschluss für den internationalen VELO Berlin FilmAward. Cycling in the City ist das Thema. (Alles mal wieder englisch.) Im März werden auf der VELOBerlin 2013 die besten 15 Kurzfilme prämiert. Schön ist das Logo der Veranstaltung. Da steht oben VE und unten LO, und es liest sich wie LOVE. Erinnert mich an ROMA, das sich von hinten wie AMOR liest. In Deutschland gibt es da wenigstens … Ortlieb.

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Gestern saß Lance Armstrong, der Sünder, im Beichtstuhl von Oprah Winfrey. Ein paar Tage davor schlug ich zufällig das Buch The End of The Affair von Graham Greene auf (1961), einen Roman, der garantiert nichts mit dem Radsport zu tun hat. Ich las:  

»›It’s in the boy’s capacity‹, Mr Parkis said with pride, ›and nobody can resist Lance.‹
›He’s called Lance, is he?‹
›After Sir Lancelot, sir. Of the Round Table.‹
›I’m surprised. That was a rather unpleasant episode, surely.‹
›He found the Holy Grail,‹ Mr Parkis said.
›That was Galahad. Lancelot was found in bed with Guinevere.‹ Why do we have this desire to tease the innocent? Is it envy? Mr Parkis said sadly, looking across at his boy as though he had betrayed him, ›I hadn’t heard.‹«

Ein kleiner Junge heißt Lance, und sein Vater, Mr Parkis, sagt stolz: nach Sir Lancelot, dem Ritter von König Arthurs Tafelrunde (Round Table), der den Heiligen Gral fand. Bendrix, der Schriftsteller und Erzähler, berichtigt ihn: »Das war Galahad. Lancelot wurde im Bett mit Guinevere erwischt.« Warum wir uns immer über die Unschuldigen lustig machen? fragt er sich. Ob  es Neid sei? Mr Parkis war betroffen. Das habe er nicht gewusst.    

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Der Mythos steckt immer voller Bezüge. Er ist offen für alle möglichen Interpretationen und wie ein Orakel. Lancelot war von einer Wasserfee aufgezogen worden, der Lady of the Lake, die ihn an König Arthurs Hof schickte. Bald wurde er, der schwarzhaarige Jüngling mit dem dunklen Teint, zum beliebtesten und besten Ritter. Eine Version der ganzen Geschichte mit Lancelot als Helden, in der er Lancelot of the Lake heißt, stammt von Chrétien de Troyes, aus dem 12. Jahrhundert. Lance verliebt sich gleich in die Königin Guinevere, Arthurs Frau, und rettet ihr das Leben. Dann macht sich Elaine, die sich in Lancelot verliebt hat, an ihn heran. Sie verkleidet sich als Guinevere, und aus ihrer Begegnung entspringt Sir Galahad. (Foto: ein Gralsritter, Christian Vontobel aus der Schweiz) 

Guinevere ist wütend, Lancelot wird verrückt und irrt zwei Jahre im Wald umher. Er darf den Gral sehen, durch einen Schleier; das heilt ihn. Er reist nach Camelot und nimmt mit Sir Perceval und Galahad an der Suche nach dem Gral teil, aber er ist ein Ehebrecher, dem nur ein Blick auf den Gral vergönnt ist. Später wird er Priester in der Einsamkeit, Guinevere Äbtissin. Sie sehen sich nie mehr wieder und sterben kurz nacheinander. Perceval hat jedoch den Gral gefunden und regiert sieben Jahre, bevor er ihn mitnimmt und der Menschheit entzieht, die noch nicht reif für ihn ist. So der Mythos. 

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Ist Lance Armstrong nicht vielleicht Perceval, der sieben Jahre als Gralskönig regierte? Gemach. Zunächst war er einfach Lance, der sich mit Verbotenem einließ: Dopingmittel. Seine erste Begegnung damit macht ihn krank, er wird »verrückt«, aber ein Blick auf den Gral (die Trophäe für den Sieger der Tour de France) heilt ihn. Er will es nun wissen! Er eilt von Sieg zu Sieg. Hohe Ritter wissen, dass Lance schuldig ist. Sie schweigen und vertauschen ihn mit Sir Perceval (am ehesten Marco Pantani, er war auch ein Doper, aber der »reine Tor«, der es schaffen hätte können, den Gral zu finden), der in der Folge unglücklich stirbt.  

Der Gral? Gefäss in einer römischen Kirche

Lance eilt von Sieg zu Sieg. Der Gral gehört ihm. Bis sich der Champion nach sieben Jahren als Gralskönig entzieht. Der Heilige Gral (die Trophäe für den wahren Sieger der Tour de France, den echten Champion) bleibt unauffindbar. Es gibt ihn zwar noch, es gab ihn immer, jedoch ist die Trophäe nur eine äußere Hülle, ein blecherner Becher: wertlos. Doping wird heftig bekämpft; Guinevere als seine Allegorie zieht sich als Äbtissin zurück. Man sagt zwar, sie sei nicht mehr hier, doch ihr Einfluss wirkt unsichtbar weiter. Ein paar neue Gralskönige treten auf, aber sie sind seiner unwert.  

Später erst erkennt man Lance als den falschen Gralskönig, der sich als Perceval maskiert und den wahren Radsport (König Arthur) betrogen hat. Er will nun Buße tun und zieht sich als Mönch in die Wälder zurück. Er wird ein  paar Millionen zurückzahlen müssen, aber einige bleiben ihm noch.

 

  

 

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